25 Juli 2017

Ebner-Eschenbach: Unverbesserlich

Die Konstellation ist äußerst ungünstig: Ein uneheliches Kind wird von der Mutter im Dorf zurückgelassen. Zwar nimmt sich der Geistliche seiner an, es kann die Schule besuchen und ist guten Willens, aber es bleibt Außenseiter, und selbst der Geistliche muss feststellen, dass trotz aller Reue nach Verfehlungen es doch immer wieder zu Rückfällen kommt, bis auch er das harte Urteil ausspricht: "Unverbesserlich".
Gibt es angesichts der allgemeinen Ablehnung im Dorf noch eine Chance?
Realistisch ist das nicht.

Unverbesserlich

Erzählung (1910)

"Sie waren Zwillingsgeschwister, Fräulein Monika und Pfarrer Emanuel, hatten jüngst ihr sechzigstes Jahr erreicht und gehörten zur kleinen Gemeinde der einsamen Menschen. Was verliebt sein heißt, hatte Monika nie erfahren, obwohl sie einstens sehr nahe daran war, sich zu verheiraten. Aber nur aus Hochachtung. Was in ihrem Bruder vorgegangen, ob er Kämpfe zu bestehen gehabt hatte, ob die Entsagung ihm so leicht geworden wie ihr, davon wußte sie nichts. Nur einmal, als sie etwas gedankenlos sich und ihn als Muster einer lautersten Lebensführung hinstellte, sprach er lächelnd:
«Vielleicht die Folge einer Mangelhaftigkeit unserer Naturen. Es kommt vor. Cicero soll nie geliebt haben.» [...]

Das Wickelkind, das sie mitgebracht hatte, war das schönste, das man sehen konnte. Es hatte rabenschwarze, große Augen, eine Gesichts- und Hautfarbe wie hellbrauner Samt und – unglaublich! – den Kopf schon ganz bewachsen mit dunklen Löckchen. Es befand sich auch im Besitz einer reichen Ausstattung an Wäsche und Decken, an Bändern und Spitzen sogar. Daß es auf den Namen Eduard getauft worden, hatte man gleich gehört. Neugierige wollten aber noch mehr erfahren und fragten: «Na, und wer ist denn der Vater?»
«Was weiß ich?» erhielten sie zur Antwort.
«Vielleicht der Teufel», sprach eine Alte.
«Vielleicht», kam's lachend zurück, und die Übermütige küßte und herzte ihr Kind.
Als sie aber eines Morgens so plötzlich verschwand, wie sie erschienen war, vergaß sie es mitzunehmen. Man hörte nie mehr etwas von ihr. Der fremd klingende Name, den sie ihrem Söhnchen gegeben, verwandelte sich im Munde der Leute in ein kosendes «Edinek».
Aber ein anderer Name, mit dem er später verhöhnt oder gegeißelt werden sollte, lautete «Teufelsbrut» und blieb sein einziges mütterliches Erbe. [...]
Einen Ministranten, wie er als Knabe war, konnte der geistliche Herr sich nie wieder erziehen, und ein gewissenhafter Besucher der Kirche blieb er bis heute. Er trat auch alljährlich mit solcher Andacht in den Beichtstuhl und an den Tisch des Herrn, daß Pater Emanuel ihn immer wieder hervorholte aus der Reihe der Unverbesserlichen, in die er ihn notgedrungen so oft gestellt hatte. [...]
«Was soll das heißen – ‹Es› hat dich gezogen, ‹es› hat dich gestoßen? Es gibt kein ‹Es›, das zieht und stößt. Der Mensch hat einen freien Willen, Eduard.»
«Ja, hochwürdiger Herr Pfarrer, den hab ich, o den hab ich! Ich tu immer wollen, und immer das Beste; aber was nachher herauskommt, dafür kann ich nichts.»
«Schäm dich, einen solchen Unsinn zu reden», zürnte Emanuel. «Aber du bist gar nicht mehr fähig, dich zu schämen, du bist unverbesserlich, und den Unverbesserlichen geb ich auf.»
Edinek erschrak. In dieser Weise hatte der geistliche Herr noch nie zu ihm gesprochen. Schlecht stand es mit ihm, wenn der Übergütige also zu ihm sprach. Immer bereit, ins Äußerste zu stürzen, als wär's das Nächste, erwiderte er stockend, schluckend und in naiver, ehrlicher Verzweiflung:
«Wird schon so sein, werden schon recht haben, die Leut, die mich Teufelsbrut schimpfen... Wird schon so sein, das Verfluchte, das mich zwingt, wird schon der Teufel sein.»
«Laß dich nicht zwingen, laß dich nicht unterkriegen, widersteh der Versuchung!»
«Wenn ich nur nicht eine so teuflische Natur hätt, hochwürdiger Herr.»
«Natur! Verschone mich mit deiner Natur. Weißt du, wozu sie da ist, deine Natur? – Um überwunden zu werden, dazu!» [...]"

Keine Kommentare: