15 September 2016

Don Quijote und Sancho Pansa kehren heim (Schluss)

[...] sie zogen weiter, und am Eingange des Dorfes fanden sie auf einer kleinen Wiese den Pfarrer lesend und den Baccalaureus Simson Carrasco. Sancho Pansa hatte über den Grauen und den Bündel Waffen als Decke den wollenen Rock gebreitet, der mit Feuerflammen bemalt war und den sie ihm im Schlosse des Herzogs angezogen hatten, als Altisidora erweckt wurde. Die spitze Mütze hatte er dem Grauen auf den Kopf gesetzt, wodurch er ihn so abenteuerlich verwandelt und herausgeputzt hatte, daß man niemals einen ähnlichen Esel in der Welt gesehen hat. Sie wurden sogleich von dem Pfarrer und dem Baccalaureus erkannt, die ihnen mit offenen Armen entgegengingen. Don Quixote stieg ab und drückte sie an seine Brust, und die Jungen, welche Augen wie Luchse haben, hatten schon aus der Ferne die spitze Mütze des Esels wahrgenommen und liefen herbei, ihn zu sehen, indem einer zu dem andern sagte: »Kommt, Jungen, und seht den Esel des Sancho Pansa, der wie ein Engel aufgeputzt ist, das Vieh des Don Quixote ist aber noch dürrer, als es sonst war.«
Von den Jungen umringt und von dem Pfarrer und dem Baccalaureus begleitet, kamen sie im Dorfe an und begaben sich nach dem Hause des Don Quixote; vor der Tür desselben fanden sie die Haushälterin und seine Nichte, die schon die Nachricht von seiner Ankunft vernommen hatten. Es fehlte auch nicht, daß sie nicht schon Therese Pansa, die Frau des Sancho, gehört hätte, welche mit niederhängenden Haaren und halb nackt gelaufen kam, ihre Tochter Sanchica an der Hand, um ihren Mann zu sehen, und da sie ihn nicht so herrlich fand, wie sie glaubte, daß ein Statthalter aussehen müsse, sagte sie zu ihm: »So kommst du daher, Mann, zu Fuß und abgerissen, und siehst mehr wie ein Stadtknecht aus als wie ein Statthalter.«
»Schweig, Therese«, antwortete Sancho, »denn man findet an manchen Orten Schwarte, wo es drum keinen Speck gibt, wir wollen nach Hause gehen, und da sollst du Wunderdinge hören. Ich bringe Geld mit, das ist die Hauptsache, durch meinen Fleiß und ohne jemandes Schaden erworben.«
»Wenn du nur Geld mitbringst, liebster Mann«, sagte Therese, »mag es auch so oder so erworben sein, denn wenn du es nur erworben hast, so wirst du immer keine neue Mode in der Welt erfunden haben.«
Sanchica umarmte ihren Vater und fragte ihn, ob er ihr etwas mitbringe, denn sie habe auf ihn gewartet wie auf den Mairegen, wobei sie ihn um den Leib faßte und die Frau seine Hand nahm, die Tochter noch den Grauen führte und sie sich so nach Hause begaben, indem sie Don Quixote in dem seinigen ließen, in der Gewalt seiner Nichte und Haushälterin und in der Gesellschaft des Pfarrers und des Baccalaureus.
Don Quixote, ohne Zeit oder Gelegenheit abzuwarten, begab sich sogleich mit dem Baccalaureus und dem Pfarrer in ein besonderes Zimmer, wo er ihnen kürzlich seine Überwindung erzählte, und wie er in die Verpflichtung verfallen sei, sein Dorf während eines Jahres nicht zu verlassen, welches er auch buchstäblich erfüllen wolle, ohne nur ein Atom zu verletzen, wie es einem irrenden Ritter zieme, der durch das Gesetz der irrenden Ritterschaft zur äußersten Pünktlichkeit verpflichtet sei, daß er aber den Vorsatz gefaßt, sich während dieses Jahres zu einem Schäfer zu machen und in der Einsamkeit der Gefilde zu leben, wo er seinen verliebten Gedanken ganz ungehindert freien Lauf lassen könne, in der Ausübung der schäferlichen und tugendhaften Übungen; er bitte sie auch, wenn sie nicht sehr beschäftigt wären oder doch von wichtigern Dingen daran verhindert würden, seine Gefährten zu werden, denn er wolle Schafe kaufen, hinreichendes Vieh, um den Namen Schäfer führen zu können; wobei sie wissen müßten, daß das Vornehmste in dieser Sache schon geschehen sei, denn er hätte ihre Namen schon so schön ausgesonnen, daß man sie nicht besser wünschen könne. [...]
Das Schicksal wollte, daß seine Nichte und die Haushälterin das Gespräch der drei mit angehört hatten, wie daher jene fort waren, gingen sie beide zu Don Quixote, und die Nichte sagte zu ihm: »Was ist denn das wieder, Herr Oheim? Nun, da wir dachten, Ihr wärt in Euer Haus zurückgekommen, um ruhig und anständig zu leben, nun wollt Ihr Euch in neue Labyrinthe verwickeln und gar werden
Schäferlein, du, der du kommst,
Schäferchen, du, der du gehst?
O aber, wahrhaftig, dazu ist das Rohr zu alt, nun noch Pfeifen daraus zu schneiden.«
Die Haushälterin fügte hinzu: »Könnt Ihr es denn wohl auf dem Felde in der Hitze des Sommers, bei der Kälte des Winters und bei dem Heulen der Wölfe aushalten? Nein wahrhaftig, denn das ist ein Stand für starke und abgehärtete Menschen, die dazu fast von der Brust und von den Windeln aufgezogen werden: und soll ja ein Unglück sein, so ist der irrende Ritter noch besser als der Schäfer. Bedenkt Euch, gnädiger Herr, und nehmt meinen Rat an, denn ich gebe ihn nicht, da ich Brot und Wein übermäßig zu mir genommen habe, sondern ich bin ganz nüchtern, auch schon in meinem Alter über die funfzig hinaus; bleibt in Euerm Hause, verwaltet Euer Vermögen, geht oft zur Beichte, teilt den Armen mit, und ich will es auf mein Gewissen nehmen, wenn Ihr unrecht darin tut.« »Schweigt, meine Kinder«, antwortete Don Quixote, »denn ich weiß am besten, was mir obliegt; bringt mich zu Bette, denn es ist mir, als sei ich nicht ganz wohl, und seid überzeugt, daß, ich mag irrender Ritter oder ein Schäfer in der Irre sein, ich es nicht unterlassen werde, immer denjenigen beizustehen, welche meiner bedürfen, wie Ihr es durch die Tat sehen sollt.« Und die guten Kinder – denn dies waren sie wirklich –, Haushälterin und Nichte, brachten ihn zu Bett, wo sie ihm zu essen gaben und ihn so gut als möglich verpflegten.

Da alle menschlichen Dinge nicht ewig dauern, sondern sich stets vom ersten Anbeginn herunterneigen, bis sie ihr letztes Ende erreichen, vorzüglich das Leben des Menschen, und da Don Quixote vom Himmel kein Vorrecht hatte, das seinige im Laufe festzuhalten, so erreichte es auch sein Ende und seine Vollendung, als er es am wenigsten vermutete; denn sei es nun von der Melancholie, sich überwunden zu sehen, oder daß es der Himmel also verordnete, er bekam ein Fieber, welches ihn sechs Tage im Bette hielt, in welchem er oft von dem Pfarrer, dem Baccalaureus und dem Barbier, seinen Freunden, besucht wurde und Sancho Pansa, sein braver Stallmeister, nicht von seinem Bette kam. [...]
Kaum hatte sie Don Quixote gesehen, als er ihnen entgegenrief: »Freut Euch mit mir, Ihr lieben Herren, denn ich bin nicht mehr Don Quixote von la Mancha, sondern Alonso Quixano, welchem sein Betragen den Zunamen des Guten erwarb. Ich bin jetzt ein Feind des ›Amadis von Gallia‹ und der ganzen unzähligen Schar seiner Nachkommenschaft; jetzt sind mir alle die verwerflichen Geschichten von der irrenden Ritterschaft verhaßt; ich erkenne meine Torheit und die Gefahr, in welche mich ihre Lesung gebracht hat, und verabscheue sie jetzt, da mir Gottes Barmherzigkeit meine Sinne wiedergeschenkt hat.«
Als die drei dies hörten, glaubten sie, er sei ohne Zweifel wieder von einer neuen Torheit befallen. Simson sagte zu ihm: »Jetzt, Herr Don Quixote, da wir die Nachricht haben, daß die Señora Dulcinea wirklich entzaubert ist, kommt Ihr auf so etwas, und jetzt, da wir im Begriff stehen, Schäfer zu werden und ein Leben wie die Prinzen zu führen, wollt Ihr Euch gar zu einem Einsiedler machen? Schweigt doch um Gottes willen, besinnt Euch und laßt dergleichen Grillen fahren.«
»Diejenigen, die ich bis jetzt gehabt habe«, versetzte Don Quixote, »und die zu meinem Nachteile mir Wahrheiten schienen, wird der Tod durch Hülfe des Himmels zu meinem Besten kehren. Ich fühle, meine Herren, daß ich bald sterben muß, darum unterlaßt diese Scherze und bringt mir einen Beichtiger, vor dem ich beichten möge, und einen Notarius, damit ich mein Testament mache, denn in der Lage, in welcher ich mich befinde, muß der Mensch keinen Scherz mit seiner Seele treiben; ich bitte Euch also, daß, indem der Herr Pfarrer meine Beichte anhört, ein anderer nach einem Notarius gehe.«
Einer sah den andern an, über die Reden des Don Quixote verwundert, und ob sie gleich noch zweifelten, fingen sie doch an, ihm zu glauben, und eins von den Zeichen, aus welchem sie schlossen, daß er sterben würde, war, daß er sich so plötzlich aus einem Toren in einen Verständigen verwandelt hatte; denn er fügte zu den vorigen Worten noch so gut gesagte, so christliche und vernünftige hinzu, daß er ihnen dadurch alle Zweifel benahm und sie ihn für verständig erklären mußten. Der Pfarrer ließ die übrigen hinausgehen und blieb mit ihm allein, um seine Beichte zu hören. Der Baccalaureus ging nach dem Notarius und kam bald darauf mit diesem und mit Sancho Pansa zurück, welcher Sancho – der schon vom Baccalaureus den Zustand seines Herrn erfahren hatte –, da er die Haushälterin und die Nichte weinend fand, auch anfing, laut zu schluchzen und Tränen zu vergießen. Die Beichte war geendigt, und der Pfarrer kam heraus und sagte: »Er stirbt in Wahrheit, und in Wahrheit ist Alonso Quixano der Gute vernünftig; jetzt können wir alle hineingehen, damit er sein Testament mache.«
Diese Nachricht gab den geschwängerten Augen der Haushälterin, der Nichte und des Sancho Pansa, seines braven Stallmeisters, einen so gewaltigen Stoß, daß die Tränen aus den Augen sprangen und tausend tiefe Seufzer aus der Brust, denn in der Tat, wie schon einmal angemerkt ist, als Don Quixote Alonso Quixano der Gute schlechtweg hieß und auch als er Don Quixote von la Mancha war, war er immer von sanfter Gemütsart und von liebenswürdigem Umgange, weshalb er nicht nur in seinem Hause, sondern auch von allen seinen Bekannten geliebt wurde. [...]
Endlich erschien die letzte Stunde des Don Quixote, nachdem er alle Sakramente empfangen und mit vielen und nachdrücklichen Reden die Ritterbücher verwünscht hatte. Der Notarius war zugegen und sagte, er habe noch in keinem einzigen Ritterbuche gelesen, daß irgendein irrender Ritter auf seinem Bette so ruhig und christlich gestorben wäre wie Don Quixote, welcher unter den Klagen und Tränen aller, die sich zugegen befanden, seinen Geist aufgab; das heißt, welcher starb.
Als dies der Pfarrer sah, forderte er vom Notarius ein Zeugnis, daß Alonso Quixano der Gute, gewöhnlich nur Don Quixote von la Mancha genannt, aus diesem Leben gegangen und eines natürlichen Todes gestorben sei, welches Zeugnis er deswegen begehrte, um zu verhindern, daß nicht irgendein anderer Autor als Cide Hamete Benengeli ihn wieder fälschlich erwecke und unendliche Geschichten von seinen Taten schreibe.
Dieses Ende nahm der scharfsinnige Edle von la Mancha, dessen Geburtsort Cide Hamete nicht genau hat angeben wollen, damit alle Flecken und Dörfer in la Mancha miteinander streiten können, ihn zu dem ihrigen zu machen, wie die sieben Städte Griechenlands um den Homerus stritten. Wir übergehen hier die Klagen des Sancho, der Nichte und der Haushälterin des Don Quixote sowie die neuen Epitaphien auf seinem Grabmal, unter welchen ihm Simson Carrasco dieses setzte:
Allhier liegt der tapfre Degen,
Der, zum äußersten geführet
Von dem Mute, so verwegen,
Daß ob ihm nicht triumphieret
Selbst der Tod mit seinen Schlägen.

Gegen alle Welt so herrisch,
Wie ein Popanz wild und störrisch
Allen, ging in den Geleisen,
Daß es wohl von ihm kann heißen,
Er starb klug und lebte närrisch.
Und der verständige Cide Hamete sagt nun zu seiner Feder: »Hier sei an diesem Nagel und ehernen Haken aufgehangen, du, ich weiß nicht, ob gut geschnitten, ob schlecht gespitzt, meine Feder, wo du viele Jahre leben wirst, wenn nicht übermütige und schelmische Geschichtschreiber dich herabnehmen, um dich zu entweihen. Ehe sie dir aber nahe kommen, magst du sie warnen und ihnen zurufen, so gut du kannst:
Fort da, fort da, Schelmgesindel,
Keiner soll nun mit mir schalten,
Dieses Unternehmen, merkt euch,
Ward für mich nur aufbehalten.
Für mich allein ward Don Quixote geboren und ich für ihn; er verstand zu handeln und ich zu schreiben; wir gehören beide einander an, trotz dem erdichteten und tordesudlerischen Schreiber, der es sich unterfing oder unterfangen wird, mit einer groben und schlecht geschnittenen Straußenfeder die Taten meines tapfern Ritters zu schreiben; denn es ist keine Last für seine Schultern und kein Gegenstand für seinen frostigen Geist, dem du sagen magst, wenn du ihn vielleicht kennenlernst, daß er nun im Grabe die müden und schon verwesten Gebeine des Don Quixote ruhen lasse und ihn nicht dem Tode zum Trotz nach Altkastilien schleppen möge, indem er ihn aus dem Grabe holt, in welchem er wirklich und wahrhaftig seiner ganzen Länge nach ausgestreckt liegt, so daß es ihm unmöglich fällt, eine dritte Reise und einen neuen Auszug anzustellen: denn um die Reisen lächerlich zu machen, welche so viele irrende Ritter angestellt haben, sind die zwei hinreichend, welche er zum Vergnügen und Wohlgefallen aller Menschen begann, die etwas davon hörten, nicht nur in diesen, sondern auch in fremden Reichen; und damit wirst du die christliche Pflicht erfüllen, daß du dem einen guten Rat gibst, der dir übel will, und ich bin alsdann zufrieden und vergnügt darüber, daß ich der erste war, der die Früchte seiner Schriften ganz so genoß, wie ich es wünschte, denn mein Wunsch war kein anderer, als bei den Menschen die erdichteten und unsinnigen Geschichten der Ritterbücher in Verachtung zu bringen, die durch meinen wahrhaftigen Don Quixote schon wanken und bald ohne allen Zweifel gänzlich fallen werden.«

Cervantes: Don Quijote, 2.Teil 11.Buch 8. und 9. Kapitel
Mehr zum Buch:
2002 wählten – organisiert vom Osloer Nobelinstitut – 100 bekannte Schriftsteller  Don Quijote
zum „besten Buch der Welt“. Spiegel Online 7.5.2002

Don Quijote im ZUM-Wiki

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