30 August 2016

Die verschleierte Hofdame Schmerzensreich bittet um Don Quijotes Beistand

Eine Hofdame, die Gräfin Dreischleppina, bittet um Don Quijotes Beistand.
[...] Hinter ihnen kam die Gräfin Dreischleppina, welche der Stallmeister Dreischleppino mit dem weißen Bart an der Hand führte, in den feinsten schwarzen Boi gekleidet; der Schwanz ihres Kleides oder die Schleppe, oder wie man es nennen will, war in drei Zipfel geteilt, welche drei Pagen, ebenfalls in Trauer, in ihren Händen hielten, wodurch mit den drei spitzen Winkeln, welche die drei Zipfel bildeten, eine seltsame mathematische Figur entstand, die alle, welche die spitzzipflige Schleppe sahen, auf den Gedanken brachte, daß sie sich deshalb die Gräfin Dreischleppina nenne, welches soviel heißen sollte als: die Gräfin von den drei Schleppen; auch sagt Benengeli, daß diese Vermutung gegründet sei und daß sie mit ihrem eigentlichen Namen die Gräfin Wolfuna geheißen habe, weil es in ihrer Grafschaft viele Wölfe gegeben, und daß, wenn diese Wölfe Füchse gewesen wären, sie sich die Gräfin Fuchsuna genannt hätte, weil es in jenen Ländern Sitte ist, daß die Gebieter von den Gegenständen, die in ihren Staaten am häufigsten sind, den Namen entlehnen; diese Gräfin aber, um die neue Mode ihrer Schleppe zu begünstigen, ließ den Namen Wolfuna fahren und nannte sich Dreischleppina.[259] Die zwölf Dueñas und die Gräfin kamen langsam wie eine Prozession herbei, die Gesichter mit schwarzen Schleiern bedeckt, die aber nicht so durchsichtig waren wie der des Dreischleppino, sondern so dicht, daß gar nichts hindurchschimmern konnte. Sowie der lange Dueñenzug völlig eingetreten war, standen der Herzog, die Herzogin und Don Quixote auf sowie alle, die die weitläuftige Prozession wahrnahmen. [...]

Der Bericht der Hofdame in Auszügen

»In dem berühmten Königreiche Candaya, welches zwischen der großen Trapobana und dem Mar del Zur liegt, zwei Meilen hinter dem Vorgebirge Comorin, war die Königin Doña Maguncia Herrscherin, die Witwe des Königs Archipiela, ihres Herrn und Gemahls, mit dem sie in der Ehe die Infantin Antonomasia, die Erbin des Reichs, erzeugt hatte, welche eben genannte Infantin Antonomasia unter meiner Aufsicht und Obwaltung erwuchs, da ich die älteste und vornehmste Dueña ihrer Mutter war. Es geschah nun, indem Tage gingen und Tage kamen, daß das Kind Antonomasia das Alter von vierzehn Jahren erreichte und eine so vollkommene Schönheit wurde, daß die Natur nichts Vollendeteres hervorbringen konnte. Ich muß aber zugleich sagen, daß ihr Verstand ausgesucht war; sie war so verständig wie schön, und sie war die Schönste in der Welt; und ist es noch, wenn die neidischen Götter und die grausamen Parzen nicht den Faden ihres Lebens zerschnitten haben; dies ist aber wohl nicht geschehen, denn der Himmel kann unmöglich zugeben, daß der Erde ein so großes Leid widerfahre wie dieses, wenn man die unreife Traube des schönsten Weinstockes mit der Wurzel ausreißen wollte. In diese Schönheit, welche meine unwürdige Zunge niemals genug erheben kann, verliebte sich eine unendliche Zahl von Prinzen, [...]
(Einer der Verliebten versucht die Hofdame für sich zu gewinnen, um Zugang zur Prinzessin zu erhalten.)
Süße Feindin, du willst schlagen
Todeswunden meinem Herzen,
Und daß sie so tiefer schmerzen,
Soll ich leiden, doch nicht klagen.


Jedes Wort schien mir eine Perle und seine Stimme Zuckerkant, und von nun an, ich meine seitdem, da ich das Unheil eingesehen habe, in welches ich durch diese und ähnliche Verse verfiel, bin ich der Meinung, daß aus guten und wohl eingerichteten Staaten die Poeten vertrieben werden müßten, wie Plato geraten hat, wenigstens die wollüstigen, die Reime schreiben, nicht wie die des Marques von Mantua, welche Kinder und Weiber ergötzen und weinen machen, sondern dergleichen Subtilitäten, die wie süße Dornen in die Seele dringen, wie Blitzstrahlen uns im Innersten verwunden, ohne die Kleider zu verletzen. Ein andermal sang er:


Nahe, Tod, mit leisem Schweben,
Ohne fühlen dich zu lassen,
Daß nicht Freude zu erblassen
Mich von neuem stärkt zum Leben.


Und noch mehr dergleichen Verschen und Weisen, die gesungen bezaubern und geschrieben entzücken. Wie aber, wenn sie sich gar herablassen, eine Art Verse zu machen, die damals in Candaya üblich waren und die man Seguidillas nannte? Da entstand vollends ein Hüpfen der Seele, ein Aufjauchzen des Gelächters, eine Unruhe des Körpers und, mit einem Wort, ein Zittern und Tanzen aller Sinne. Daher sage ich, meine Gnädigsten, daß man dergleichen Reimer mit Recht auf die Eidechseninseln verbannen sollte. [...]
Jawohl, ich Unglückselige! Nicht seine Verse, sondern meine Einfalt brachten mich zum Weichen; nicht seine Gesänge machten mich nachgiebig, sondern mein Leichtsinn; meine große Unklugheit und meine geringe Vorsicht öffneten den Weg und hoben dem Don Clavijo – denn das ist der Name jenes Ritters – allen Anstoß aus seiner Bahn; und da ich nun die Vermittlerin war, befand er sich einmal und öfter in dem Gemach der durch mich und nicht ihn hintergangenen Antonomasia, unter dem Titel eines wirklichen Gemahls; denn so sehr ich mich auch vergangen habe, hätte ich es doch nicht zugegeben, daß er, ohne ihr Mann zu sein, nur die Spitze von der Sohle ihrer Schuhe berührt hätte; nein, nein, ei bewahre! Ehestand muß in jedem Geschäfte vorangehen, in welches ich mich einlassen soll. Nur ein Unglück war bei diesem Handel, nämlich die Ungleichheit des Standes, daß Don Clavijo nur ein gewöhnlicher Ritter war und die Infantin Antonomasia, wie schon gesagt, die Erbin des Reichs. Diese Intrige blieb einige Zeit durch meine schlaue Klugheit verborgen und geheimgehalten, bis es mir schien, sie würde durch eine gewisse Geschwulst am Bauche der Antonomasia bekannter werden, aus welcher Besorgnis wir drei eine Beratschlagung anstellten, woraus sich ergab, daß, bevor dieser Handel an das Licht kommen sollte, Don Clavijo von dem Vicarius die Antonomasia zu seiner Frau begehren sollte, kraft einer Schrift, welche die Infantin ausgestellt hatte, seine Gemahlin zu sein, und die vermöge meiner Klugheit so kräftig und bindend war, daß Simson sie selber nicht hätte zerreißen können. Dies geschah mit aller Sorgfalt; der Vicarius sah die Schrift, derselbe Vicarius ließ die Prinzessin beichten; sie beichtete alles, und er gebot ihr, die Schrift bei dem obersten Alguazil, einem sehr geehrten Manne, niederzulegen.«
Jetzt sagte Sancho: »Also auch in Candaya gibt es Alguazils, Poeten und Seguidillas? Jetzt will ich darauf schwören, es ist allenthalben in der Welt ein und dasselbe; aber eilt auch, meine gnädige Frau Dreischleppina, denn es ist schon spät, und ich sterbe fast, das Ende dieser langen Geschichte zu erfahren.«

»Das will ich tun«, antwortete die Gräfin.
(Cervantes: Don Quijote 2. Teil, 9.Buch 5. Kapitel)

Der geneigte Leser hat vermutlich noch Sancho Pansas unerträglich ausgesponnene Geschichte in Erinnerung, die Don Quijotes Geduld überbeanspruchte, und gönnt Sancho Pansa, dass ihm mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Mehr dazu im nächsten Kapitel.

Keine Kommentare: