31 Juli 2016

Die Geschichte vom verlorenen Esel (Cervantes: Don Qujote)

»Wißt also, meine Herren, daß in einem Orte, welcher vier und eine halbe Meile von hier entfernt liegt, es sich zutrug, daß einem dortigen Richter durch die Bosheit und Schelmerei einer jungen Magd – was sehr weitläufig zu erzählen wäre – ein Esel verlorenging; und ob dieser Richter gleich allen Fleiß anwandte, ihn wiederzufinden, so war es doch unmöglich. Vierzehn Tage waren schon, wie das allgemeine Gerücht[171] sagt, verflossen, seitdem der Esel fehlte, als der Richter, der den Verlust erlitten, auf dem Platze stand und ein anderer Richter des nämlichen Ortes zu ihm sagte: ›Was gebt Ihr mir, Gevatter? Ich habe Euren Esel gesehen.‹ – ›Ich will Euch ein ansehnliches Geschenk geben‹, antwortete der andere; ›aber sagt mir doch, wo hat er sich gezeigt?‹ – ›Auf dem Berge‹, antwortete der Finder, ›habe ich ihn diesen Morgen gesehen, ohne Sattel und Zeug und so vermagert, daß es ein Jammer war, ihn anzusehen. Ich wollte ihn vor mir hertreiben und ihn so zu Euch bringen, aber er ist schon so wild und unbändig, daß, wie ich ihm nahe kam, er sich davonmachte und in den abgelegensten Teil des Berges hineinlief. Wenn es Euch aber gefällt, daß wir beide gehen, um ihn zu suchen, so will ich nur diese Eselin erst in mein Haus stellen und gleich wiederkommen.‹ – ›Ihr erzeigt mir eine große Gefälligkeit‹, sagte der vom Esel, ›und ich werde mich bemühen, Euch mit gleicher Münze wiederzubezahlen.‹ Mit allen diesen Umständen und auf eben die Weise, wie ich es Euch erzähle, erzählen es alle, die um den wahren Zusammenhang der Sache wissen. Kurz, die beiden Richter begaben sich zu Fuß und Hand in Hand nach dem Berge; und als sie an Ort und Stelle gekommen, wo sie den Esel zu finden glaubten, fanden sie ihn nicht, auch ließ er sich in der ganzen Gegend nicht sehen, sosehr sie ihn auch suchten. Da sie also sahen, daß er nicht zum Vorschein kam, sagte der Richter, der ihn gesehen hatte, zum andern: ›Schaut, Gevatter, mir ist ein Pfiff eingefallen, wodurch wir das Vieh gewiß ausfindig machen, und wenn es in den Eingeweiden der Erde steckte, geschweige denn im Berge. Ich kann nämlich herrlich wie ein Esel brüllen, und wenn Ihr es auch etwas versteht, so ist die Sache abgemacht.‹ – ›Etwas, meint Ihr, Gevatter?‹ sagte der andere; ›bei Gott, ich gebe keinem darin nach, selbst nicht den Eseln!‹ – ›Das wollen wir gleich sehen‹, antwortete der zweite Richter; ›denn mein Plan ist, daß Ihr um die eine Seite des Berges geht, ich um die andere, und von Zeit zu Zeit sollt Ihr brüllen, und ich will brüllen, und so muß uns der Esel durchaus hören und antworten, wenn er noch im Berge ist.‹ Worauf der Herr des Tieres antwortete: ›Nun wahrhaftig, Gevatter, der Pfiff ist kostbar und Eures geistreichen Kopfes würdig.‹ Sie trennten sich hierauf beide nach der Abrede, und es geschah, daß sie beide zu einer Zeit brüllten und jeder, vom Gebrüll des anderen getäuscht, herbeilief, um sich zu suchen, weil jeder glaubte, der Esel sei zum Vorschein gekommen, und als sie sich erblickten, sagte der, welcher ihn verloren: ›Ist es möglich, Gevatter, daß es nicht mein Esel war, der gebrüllt hat?‹ – ›Nein, ich war's‹, antwortete der andere. – ›Nun, so muß ich sagen‹, versetzte jener, ›daß zwischen Euch und einem Esel, Gevatter, gar kein Unterschied ist, wenigstens was das Brüllen anbetrifft; denn in meinem Leben habe ich nicht so etwas Ähnliches gesehen oder gehört.‹ – ›Diese Lobeserhebungen und Schmeicheleien‹, antwortete der, welcher die Erfindung gemacht, ›kommen mehr Euch zu, Gevatter, als mir; denn bei dem Gott, der mich geschaffen hat, Ihr könnt dem allergrößten und kundigsten Brüller von der ganzen Welt noch zwei Schreie vorgeben; denn die Art, wie Ihr in die hohen Töne hineinsteigt, die gehaltene und volle Stimme und die vielen und vollen Kadenzen sind von der Art, daß ich mich für überwunden bekennen muß und Euch die Palme und den Lorbeer dieser seltenen Geschicklichkeit nicht mehr streitig mache.‹ – ›Von nun an‹, antwortete der Herr des Esels, ›werde ich mich für etwas besser als bisher halten; ich werde einigermaßen gut von mir denken, da ich doch eine Gabe besitze; denn wenn ich auch der Meinung war, daß ich gut brüllte, so habe ich mir doch nie eingebildet, daß ich so der Sache Meister sei, wie Ihr mir sagt.‹ – ›Ich sage aber gleichfalls‹, antwortete der andere, ›daß viele herrliche Talente in der Welt verlorengehen und daß sie bei denen übel angewandt sind, die sie nicht zu benutzen verstehen.‹ – ›Unsere Gaben‹, antwortete der Herr des Esels, ›können uns doch bei keiner anderen Gelegenheit als bei der gegenwärtigen Dienste leisten, und gebe Gott nur, daß sie uns hierbei etwas helfen.‹ Als sie dies gesprochen hatten, trennten sie sich von neuem und fingen von neuem ihr Brüllen an, und bei jedem Schritte wurden sie betrogen und stießen aufeinander, bis sie sich ein Merkzeichen machten, daß, um zu wissen, sie wären es und nicht[172] der Esel, sie zweimal hintereinander brüllen wollten. Somit verdoppelten sie bei jedem Schritte das Brüllen und gingen um den ganzen Berg herum, ohne daß ihnen der verlorne Esel, selbst nur mit Zeichen, geantwortet hätte. Wie konnte aber auch der arme Unglückselige antworten, da sie ihn im dichtesten Gebüsche fanden, von Wölfen aufgefressen? Als sein Herr ihn so erblickte, sagte er: ›Ich habe mich darum gewundert, daß er nicht antwortete; denn er mußte tot sein, um nicht zu brüllen, wenn er uns gehört hätte, oder er wäre kein Esel gewesen; aber da ich Euch dafür so anmutig habe brüllen hören, Gevatter, so halte ich doch die Mühe, ihn aufzusuchen, für gut angewandt, ob ich ihn gleich tot gefunden habe.‹ – ›Ihr seid in der Vorhand‹, antwortete der andere; ›denn wenn der Abt gut singt, so stimmt der Mesner gut ein.‹ Hiermit kehrten sie trostlos und heiser in ihr Dorf zurück, wo sie ihren Freunden, Nachbarn und Bekannten erzählten, was ihnen begegnet sei, als sie den Esel hätten suchen wollen, wobei einer das Talent des anderen im Brüllen sehr herausstrich. Diese Geschichte verbreitete sich auch in den benachbarten Örtern, und der Teufel, der nie schläft, sondern gern allenthalben Zank und Zwietracht säet und ausstreut und große Händel und Zwiespalt oft aus nichts erzeugt, machte und richtete es so ein, daß die Leute aus anderen Dörfern, wenn sie einen aus unserem Dorfe sahen, brüllten, wodurch sie sich über das Gebrüll unserer Richter aufhielten. Dies verbreitete sich auch auf die Jungen, und nun war es nicht anders, als wenn alle Teufel aus der Hölle zusammen losgelassen wären; denn das Brüllen lief wie ein Feuer von einem Dorfe zum anderen, daß die Einwohner von dem Dorfe des Gebrülles so bekannt sind, wie man die Schwarzen von den Weißen kennt und unterscheidet. Und dieser unangenehme Spaß ist schon so weit gegangen, daß die Verspotteten gegen die Spötter oft mit gewaffneter Hand und in Heerscharen ausgerückt sind, um ihnen ein Treffen zu liefern, ohne daß da Gesetz und Befehl oder Obrigkeit etwas gilt. Ich glaube, daß morgen oder übermorgen die ganze Mannschaft aus meinem Dorfe aufbrechen wird, welches das vom Brüllen ist, gegen ein anderes Dorf, zwei Meilen von dem unsrigen, welches die sind, die uns am meisten verfolgen; und um desto besser im Felde zu erscheinen, habe ich die Lanzen und Hellebarden gekauft, welche Ihr gesehen habt. Dies sind nun die Wunderdinge, die ich Euch zu erzählen versprochen habe; sind sie Euch nicht so vorgekommen, so weiß ich keine andere.« Hiermit beschloß der gute Mann seine Rede.
 (Cervantes: Don Quijote 2. Teil 8. Buch 8. Kapitel)

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