07 Juni 2016

Fortsetzung der Geschichte des Algeriersklaven

Es stellt sich heraus, dass ein Leidensgefährte des Erzählers, der mit ihm auf der gleichen Ruderbank der Galeere saß, der Bruder des Don Fernando war. Er hatte zwei Sonette gedichtet, die Don Fernando und der Erzähler vortragen. (mehr dazu)
Nach dem Tode seines Herrn wurde er einem von dessen Untergebenen vererbt:
 Er hieß Azan Aga, wurde sehr reich und nachher König von Algier, wohin ich mit ihm von Konstantinopel reiste, sehr darüber erfreut, mich Spanien näher zu befinden; nicht als hätte ich den Vorsatz gehabt, meines Unglücks wegen zu schreiben, sondern um zu sehen, ob mir das Glück in Algier günstiger als in Konstantinopel sein würde, wo ich tausend Arten zu entfliehen versucht hatte, es mir aber niemals hatte gelingen wollen; ich dachte jetzt darauf, in Algier auf andere Mittel zu sinnen, um endlich meine Wünsche in Erfüllung zu bringen, denn niemals gab ich die Hoffnung auf, die Freiheit wiederzuerhalten, und wenn das, was ich ersonnen und ausgeführt hatte, meinem Plane nicht entsprach, so suchte ich, statt die Hoffnung aufzugeben, vielmehr eine andere auf, wenn sie gleich noch so schwach und unzuverlässig war.
So brachte ich mein Leben zu, in einem Gefängnisse oder einem Hause eingeschlossen, welches die Türken ein Bad nennen, wo diejenigen Christensklaven eingesperrt werden, die dem Könige wie auch einigen Privatleuten zugehören oder die dem Alamacen eigentümlich sind, das heißt, die Sklaven des Rats, die der Stadt in öffentlichen Arbeiten und auf andere Weise dienen; diese letzteren Gefangenen erhalten nur schwer ihre Freiheit wieder, denn da sie vielen und nicht einem besonderen Herrn zugehören, wissen sie nicht, mit wem sie wegen ihrer Ranzion einen Handel schließen sollen. In diese Bäder geben, wie gesagt, manche Privatleute ihre Sklaven hin, vorzüglich wenn sie sich auslösen sollen, denn dort haben sie sie so lange sicher und eingeschlossen, bis ihre Ranzion angekommen ist; die Sklaven des Königs ebenfalls, die ranzioniert werden sollen, gehen nicht mit dem übrigen Haufen auf die Arbeit, außer wenn sich ihre Ranzion etwa verzögert, alsdann läßt man sie arbeiten, damit sie ihre Auslösung eifriger betreiben, vorzüglich mit den übrigen Brennholz holen, welches keine leichte Arbeit ist. Ich also war einer von denen, die sich auslösen sollten, denn da man wußte, ich sei Kapitän, so half es mir wenig, mein Unvermögen vorzuschützen, sie setzten mich unter die Zahl der Ritter und derjenigen, die sich ranzionieren müßten; man legte mir eine Kette an, mehr zum Zeichen, daß ich mich auslösen solle als um mich damit festzuhalten, und so brachte ich mein Leben im Bade zu, in der Gesellschaft vieler anderen Ritter und ausgezeichneten Männer, die alle dazu ausgewählt waren, sich auszulösen. Der Hunger und Mangel an Kleidern quälte uns oft, ja, ich kann sagen, beständig, doch peinigte uns nichts so sehr, als täglich die nie gesehenen und unerhörten Grausamkeiten zu sehen und zu hören, die mein Herr gegen die Christen verübte. An jedem Tage hing er seinen Mann, spießte den andern und schnitt einem dritten die Ohren ab, und zwar um so geringer Ursachen willen, ja so ohne allen Grund, daß die Türken selbst einsahen, er tue dieses nur, um es zu tun und weil er der blutdürstigste Mensch sei, den die Erde jemals getragen habe. [...]
Auf den Hof unseres Gefängnisses stießen die Fenster eines Hauses, das einem reichen und vornehmen Mohren zugehörte; diese waren, wie es bei den Mohren gewöhnlich ist, mehr Löcher als Fenster und außerdem noch mit dichten Jalousien verhüllt. Es trug sich zu, daß, als ich mich einst auf der Terrasse unseres Gefängnisses mit drei von meinen Gefährten befand und wir uns übten, um die Zeit zu vertreiben, mit den Ketten zu springen, und wir allein waren – denn die übrigen Christen waren ausgegangen, um zu arbeiten –, ich die Augen aufhob und sah, wie aus den verschlossenen Fenstergittern ein Rohr hervorkam, an dessen Ende ein Tuch gebunden war; das Rohr bewegte und rührte sich so, als wenn es uns ein Zeichen geben wollte, herbeizukommen und es zu nehmen. Wir betrachteten diese Erscheinung, und einer von denen, die mit uns waren, stellte sich unter das Rohr, um zu sehen, ob es herunterfallen oder was es tun würde; sowie er aber hinzukam, hob sich das Rohr in die Höhe und bewegte sich von einer Seite zur andern, als wenn man mit dem Kopfe nein ausdrückt. Der Christ ging zurück, und das Rohr kam wieder und machte dieselben Bewegungen wie vorher. Ein anderer von meinen Gefährten ging hinzu, und ihm begegnete das nämliche, was dem ersten begegnet war. Endlich tat es der dritte, und es geschah mit ihm nicht anders wie mit dem ersten und zweiten. Da ich dies sah, bekam ich auch Lust, mein Glück damit zu versuchen, und sowie ich mich unter das Rohr stellte, ließ man es herabfallen, so daß es zu meinen Füßen innerhalb des Bades niederfiel. Sogleich band ich das Tuch ab, in dem ein Knoten geschlungen war, und in diesem fand ich zehn goldene mohrische Münzstücke, von denen jedes zehn spanische Realen an Wert betrug. Ich brauche wohl nicht zu sagen, ob ich mich über diesen Fund freute, denn mein Vergnügen hierüber war so groß als meine Verwunderung, weil ich nicht begreifen konnte, woher uns, besonders mir, diese Güte komme; denn daß man für mich allein das Rohr hatte niederfallen lassen, bewies deutlich, daß man mir diese Gunst erzeige. Ich nahm mein gutes Geld, zerbrach das Rohr und ging nach der Terrasse zurück, von wo ich nach dem Fenster schaute und sah, wie eine sehr weiße Hand es aufmachte und dann schnell wieder verschloß. Daraus nahmen wir ab oder stellten uns vor, daß eine Frau, die in jenem Hause lebe, uns diese Wohltat erwiesen habe; wir machten hierauf auf mohrische Weise unsere Danksagungen, neigten den Kopf und Leib und legten die Hände kreuzweise über die Brust. Bald darauf sahen wir aus dem nämlichen Fenster ein kleines Kreuz, aus Rohr gemacht, erscheinen, das auch gleich wieder hineinging. Dies Zeichen bestätigte uns in der Meinung, daß eine Christensklavin in jenem Hause wohnen müsse und daß sie uns diese Wohltat erweise; doch nahm uns der weiße Arm sowie die Armspangen, die wir darauf sahen, wieder diesen Gedanken, wir glaubten eher, daß sie eine abgefallene Christin sein müsse, die sehr oft ihre eigenen Herren zu rechtmäßigen Frauen nehmen und sich dabei noch glücklich schätzen, weil sie diese höher als die Weiber ihrer Nation achten.
Alle unsere Vermutungen waren aber sehr weit von der Wahrheit entfernt, von jetzt an aber war es unsere beständige Unterhaltung, nach dem Fenster hinaufzuschauen, wie nach unserem Pol, von wo uns der Stern des Rohres erschienen war; es vergingen aber wohl vierzehn Tage, ohne daß wir einen Stab oder die Hand oder ein anderes Zeichen gewahr wurden; und ob wir gleich in dieser Zeit Erkundigungen anstellten, um zu erfahren, wer in jenem Hause lebe und ob sich eine abgefallene Christin dort befinde, so konnte man uns doch nichts anderes sagen, als daß dort ein vornehmer und reicher Mohr lebe, der Agi Morato heiße und Kommandant von la Pata gewesen war, welches bei ihnen eine sehr angesehene Stelle ist. Als wir aber gerade am wenigsten daran dachten, daß es wieder neue Goldstücke regnen könne, sahen wir abermals ein Rohr mit einem Tuche erscheinen, und in diesem einen noch größeren Knoten;[351]dies geschah zu einer Zeit, in der keine Menschen weiter, wie das vorige Mal, im Bade zugegen waren. Wir machten wieder den nämlichen Versuch, indem die anderen früher als ich hinzugingen, denn dieselben drei Gefährten waren wieder zugegen; aber keinem schien das Rohr bestimmt, außer mir, denn als ich hinzutrat, ließ man es herunterfallen. Ich machte den Knoten auf und fand vierzig goldene spanische Taler und ein Blatt, mit arabischen Lettern beschrieben, unter denen ein großes Kreuz gemacht war. Ich küßte das Kreuz, steckte das Geld ein, ging zur Terrasse zurück, wir machten alle unsere Danksagungen, die Hand erschien wieder, sie machte Zeichen, daß ich das Blatt lesen möchte, das Fenster verschloß sich.
Wir waren über diese Begebenheit erstaunt und vergnügt, und da keiner von uns Arabisch verstand, so trugen wir ein großes Verlangen, zu erfahren, was das Papier enthalte, aber noch größer war die Schwierigkeit, jemanden zu finden, der es lesen könnte. Endlich entschloß ich mich, mich einem Renegaten zu vertrauen, der aus Murzia gebürtig war und sich immer für meinen Freund ausgegeben hatte; auch hatte ich ein Pfand von ihm, daß er mein Geheimnis nicht offenbaren würde, denn manche Renegaten, wenn sie gern wieder in die Christenheit zurückkehren wollen, pflegen Scheine von einigen angesehenen Gefangenen mit sich zu führen, in denen versichert wird, daß dieser Abgefallene ein wackerer Mann sei, den Christen immer Gutes erwiesen habe und daß er willens sei, mit der ersten günstigen Gelegenheit zu entfliehen. Manche lassen sich dergleichen Bescheinigungen aus redlichen Absichten geben, andere aber bedienen sich ihrer aus List und für alle Zufälle, denn wenn sie ausziehen, um in christlichen Gegenden zu plündern, und sie etwa sich verlieren oder gefangen werden, so bringen sie ihre Scheine vor und sagen, daß man aus diesen Papieren sehen könne, weshalb sie gekommen wären, daß sie nämlich in der Christenheit bleiben wollten und deshalb mit den übrigen Türken diesen Streifzug unternommen hätten; so vermeiden sie ihre Strafe und versöhnen sich mit der Kirche, ohne daß ihnen etwas geschehen darf, und wenn sie dann eine Gelegenheit ersehen, so kehren sie wieder in die Barbarei zurück, um das zu sein, was sie vormals waren. Andere aber, die dergleichen Papiere besitzen, verschaffen sie sich zu guten Absichten, um wirklich in der Christenheit zu bleiben. Von diesen Renegaten also war dieser mein Freund, welcher Bescheinigungen von allen unseren Kameraden hatte, worin wir ihn so sehr als möglich empfohlen, und hätten die Mohren diese Papiere gefunden, so hätten sie ihn lebendig verbrannt.
Ich wußte, daß dieser sehr gut Arabisch verstehe und es nicht nur sprechen, sondern auch schreiben könne; ehe ich ihm aber alles erklärte, sagte ich ihm, daß er mir dieses Blatt lesen möchte, welches ich von ungefähr in einem Winkel meiner Kammer gefunden hätte. Er schlug es auf, beschaute es einige Zeit und las es lange mit Aufmerksamkeit, indem er zwischen den Zähnen murmelte. Ich fragte, ob er es verstehe. Er sagte, daß er es gut verstehe und daß er es mir Wort für Wort übersetzen wolle, wenn ich ihm Tinte und Feder gäbe. Ich gab ihm, was er verlangte, er übersetzte mir alles und sagte mir dann: ›Hier steht nun alles auf spanisch, ohne daß eine Silbe fehlt, was dieses Blatt auf mohrisch enthält, nur müßt Ihr wissen, daß Lela Marien soviel als die Heilige Jungfrau Maria bedeutet.‹ Hierauf lasen wir das Papier, welches Folgendes enthielt:
Als ich ein Kind war, hatte mein Vater eine Sklavin, die mir in meiner Sprache das christliche Gebet lehrte und mir viel von Lela Marien erzählte. Die Christin starb, und ich weiß, daß sie nicht im Feuer, sondern bei Allah ist, denn ich habe sie seitdem zweimal gesehen, und sie hat mir gesagt, daß ich mich nach der Christenheit begeben möchte, um Lela Marien zu sehen, die mich überaus liebte. Ich weiß nicht, wie ich fortkommen soll; viele Christen habe ich schon aus diesem Fenster gesehen, und keiner scheint mir ein Ritter zu sein als Du. Ich bin sehr schön und jung und habe viel Geld, das ich[352] mit mir nehmen kann; überlege, ob Du es einrichten kannst, wie wir von hier gehen, dann sollst Du mein Mann sein, wenn Du willst, und wenn Du nicht willst, ist es mir auch gleich, denn Lela Marien wird mir schon einen geben, mit dem ich mich verheirate. Ich schreibe das, nimm Dich in acht, wem Du es zu lesen gibst, vertraue Dich keinem Mohren, denn sie sind alle Spitzbuben. Das macht mir viele Sorgen, daß Du Dich ja keinem entdecken möchtest, denn wenn es mein Vater erfährt, wirft er mich gleich in einen Brunnen und deckt mich mit Steinen zu. An das Rohr werde ich einen Faden heften, daran binde die Antwort, und wenn Du keinen hast, der es Dir auf arabisch schreiben kann, so sage es mir durch Zeichen, denn Lela Marien wird wohl machen, daß ich Dich verstehe. Sie und Allah bewahren Dich, wie dieses Kreuz, das ich oftmals küsse, denn so hat es mir die Sklavin befohlen.

Erwägt selbst, Señores, ob wir nicht Ursache hatten, über dieses Blatt zu erstaunen und uns darüber zu freuen; wir alle äußerten uns auch so darüber, daß der Renegat merkte, daß wir nicht von ungefähr dies Papier gefunden hätten, sondern daß es an einen von uns geschrieben sein müsse; er bat uns also, daß, wenn seine Vermutung Wahrheit sei, wir uns ihm vertrauen und es sagen möchten, denn er wolle sein Leben für unsre Freiheit wagen. Bei diesen Worten nahm er ein metallenes Kruzifix aus dem Busen und schwur mit vielen Tränen bei dem Gotte, den dieses Bildnis darstelle, an den er, obgleich ein böser, sündiger Mensch, festiglich glaube, redlich gegen uns zu sein und alles geheimzuhalten, was wir ihm vertrauen würden, denn es scheine ihm möglich und ahne ihm schon, daß durch Vermittlung derjenigen, die dieses Blatt geschrieben habe, er und wir alle die Freiheit erlangen könnten und daß ihm dann sein heißer Wunsch erfüllt werde, wieder in den Schoß der heiligen Kirche, seiner Mutter, zurückzukehren, von der er, wie ein verdorbenes Glied, abgelöst und durch seine Unwissenheit und Sünde abgefallen sei. Dies sagte der Renegat mit so häufigen Tränen und mit solchen Zeichen einer innigen Reue, daß wir alle zu gleicher Zeit dahin übereinkamen, ihm den wahren Zusammenhang der Sache zu erklären, und so erzählten wir ihm alles, ohne irgend etwas zu verschweigen. Wir zeigten ihm das Fenster, aus welchem das Rohr erschienen sei, er merkte sich das Haus und nahm sich vor, genaue Nachricht einzuziehen, wer dort wohne. Wir waren auch darin einig, daß es gut sei, der Mohrin auf ihren Brief zu antworten, und da wir jemanden hatten, der es tun konnte, so schrieb der Renegat sogleich das auf, was ich ihm vorsagte, welches genau so war, wie ich es Euch wiederholen will, denn alles Wesentliche, was sich in dieser Begebenheit zugetragen hat, habe ich genau im Gedächtnisse behalten, wie ich es denn auch zeit meines Lebens nicht vergessen werde. Ich antwortete der Mohrin auf folgende Weise:

Der wahrhaftige Allah beschütze Dich, meine Gebieterin, und die gebenedeite Maria, die die wahrhaftige Mutter Gottes ist, die es Dir auch in Dein Herz gegeben, nach der Christenheit zu gehen, weil sie Dich liebt. Bete zu ihr, damit sie es Dir eingebe, wie wir Deinen Befehl ausrichten mögen, denn sie ist so gütig, daß sie es gewiß tun wird. Was mich und alle diese Christen betrifft, die mit mir sind, so versprechen wir, alles für Dich zu tun, was wir können, selbst zu sterben. Schreibe mir und benachrichtige mich, was Du zu tun gedenkst, denn ich werde Dir immer antworten, denn der große Allah hat uns einen christlichen Gefangenen verliehen, der Deine Sprache gut sprechen und schreiben kann, wie Du auch an diesem Blatte siehst. Du kannst uns also ohne Furcht von allem Nachricht geben. Da Du sagst, daß Du meine Frau werden willst, wenn Du in der Christenheit bist, so verspreche ich Dir dieses als guter Christ, und Du weißt, daß die Christen ihre Versprechungen besser als die Mohren erfüllen. Allah und seine Mutter Maria mögen Dich, meine Gebieterin, beschützen!

Da dieses Blatt geschrieben und versiegelt war, wartete ich zwei Tage, bis das Bad wieder wie gewöhnlich leer war, und sogleich begab ich mich auf meinen gewöhnlichen Platz auf der Terrasse, um zu sehen, ob das Rohr sich zeige, welches auch nicht lange ausblieb. Sowie ich es gewahr ward, ob ich gleich nicht sehen konnte, wer es hinausreichte, zeigte ich das Papier, um zu verstehen zu geben, daß man den Faden anheften möchte; aber er war schon am Rohre befestigt, ich band hierauf das Papier an, und bald darauf erschien unser Stern von neuem, mit der weißen Friedensfahne des angeknüpften Tuches. Es fiel herab, ich nahm es auf und fand mannigfaltige goldene und silberne Münzen, über fünfzig Taler, wodurch unsere Freude funfzigmal größer wurde, weil sich die Hoffnung unserer Freiheit dadurch bestätigte.
An demselben Abend kam unser Renegat zurück und sagte uns, daß in dem Hause der Mohr lebe, von dem wir schon gesprochen hätten, der Agi Morato hieß, außerordentlich reich sei und eine einzige Tochter zur Erbin seines Vermögens habe, diese sei, nach dem Urteil der ganzen Stadt, das schönste Mädchen in der Barbarei, um die schon viele Vizekönige angehalten hätten, daß sie sich aber niemals habe verheiraten wollen; zugleich habe er in Erfahrung gebracht, daß sie eine christliche Sklavin gehabt, die nun aber gestorben sei. Alles dies stimmte mit dem Inhalte des Briefes überein.
Wir beratschlagten sogleich mit dem Renegaten, welche Mittel man ergreifen müsse, um die Mohrin zu entführen und mit ihr in die Christenheit zu kommen, und er gab uns den Rat, daß wir noch auf einen zweiten Brief der Zoraida warten möchten – denn so hieß sie, die jetzt Maria genannt sein will –, denn wir sahen wohl ein, daß sie allein uns nur die Mittel angeben könne, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Der Renegat wiederholte hierauf noch einmal die Versicherung, daß wir seinetwegen nicht sorgen möchten, denn er würde sein Leben daransetzen, uns die Freiheit zu verschaffen.
Vier Tage hintereinander war das Bad mit Leuten angefüllt, wodurch das Rohr vier Tage verhindert ward, sich zu zeigen, dann aber, in der gewöhnlichen Einsamkeit des Bades, erschien es mit einem so hochschwangeren Tuche, daß wir uns eine höchst glückliche Entbindung versprechen durften. Das Rohr mit dem Tuche ließ sich zu mir nieder, und ich fand ein andres Papier, nebst hundert goldenen Talern, ohne irgendeine andere Münze. Der Renegat war da, in meiner Kammer gab ich ihm den Brief zu lesen, welcher folgendes enthielt:

Ich weiß nicht, mein Herr, wie ich es anfangen soll, daß wir nach Spanien kommen, auch hat mir Lela Marien nichts gesagt, so sehr ich sie auch darum gebeten habe; was geschehen kann, ist, daß ich Euch durch dieses Fenster sehr viele Goldmünzen gebe, damit Ihr Euch und Eure Freunde ranzioniert und sich einer von ihnen nach der Christenheit begibt, dort eine Barke kaufe und zurückkomme, um die übrigen abzuholen; mich wird er dann im Garten meines Vaters finden, der vor dem Tore Babazon, dicht am Meere, liegt, dort bin ich den ganzen Sommer hindurch mit meinem Vater und meinen Dienern. Von dort könnt Ihr mich in der Nacht ohne Gefahr abholen und in der Barke fortführen. Daß Du aber ja mein Mann wirst, denn wenn Du das nicht tust, so werde ich Maria bitten, daß sie Dich straft. Traust Du keinem andern, daß er die Barke hole, so kaufe Dich selber los und geh, ich weiß, Du kommst zuverlässiger als ein anderer wieder, denn Du bist Ritter und Christ. Erkundige Dich des Gartens wegen, und wenn Du abreisest, so sorge, daß Du im Bade allein seiest, dann will ich Dir vieles Geld geben. Allah beschütze Dich, mein Gebieter.

Dies war der Inhalt des zweiten Briefes, der kaum gelesen war, als sich auch jeder anbot, sich loszukaufen, mit dem Versprechen, gewissenhaft zurückzukommen; ich selber bot mich ebenfalls an. Der Renegat aber widersprach uns allen, indem er sagte, daß er durchaus nicht dareinwilligen würde, keiner solle eher befreit fortgehen, bis sie es gemeinschaftlich tun könnten, denn die Erfahrung habe gelehrt, wie schlecht die Befreiten das Wort halten, das sie in der Gefangenschaft gegeben haben; denn schon oft haben sich vornehme Gefangene dieses Mittels bedient, einen loszukaufen, der mit Geld nach Valenzia oder Majorca gehen sollte, um dort eine Barke zu kaufen und sie für diejenigen auszurüsten, die ihn frei gemacht hätten, daß ein solcher aber niemals zurückgekommen wäre, denn die neue Freiheit und die Furcht, sie wieder zu verlieren, lösche in der Seele die Erinnerung der größten Verbindlichkeiten aus. Zur Bestätigung dieser Wahrheit erzählte er uns kürzlich einen Vorfall, der sich fast um die nämliche Zeit mit einigen christlichen Rittern zugetragen hatte, die seltsamste Begebenheit, die sich dort ereignet, wo doch täglich die wunderlichsten und seltsamsten Dinge vorgehen. Er war der Meinung, daß das, was man tun müsse und könne, nichts anderes sei, als daß man das Geld, wofür man den Christen freikaufen solle, ihm gebe, um dafür dort in Algier eine Barke einzukaufen, wobei er zum Vorwand nehmen wolle, daß er gesonnen sei, nach Tetuan und an der Küste Handel zu treiben, und wenn er diese Barke besitze, sei es ihm ein leichtes, sie aus dem Bade zu holen und alle einzuschiffen; um so mehr, da die Mohrin, wie sie selber sage, Geld genug habe, alle loszukaufen, wenn sie aber frei wären, sei es die leichteste Sache von der Welt, sie am hellen Tage einzuschiffen; die viel größere Schwierigkeit bestehe darin, daß die Mohren es nicht einem Renegaten erlaubten, eine Barke zu kaufen oder zu besitzen, außer ein großes Schiff, um damit auf Raub auszugehen; um so weniger, wenn er ein Spanier ist, weil sie glauben, daß er die Barke nur dazu brauchen will, nach der Christenheit zurückzugehen. Er wolle aber diese Schwierigkeit dadurch überwinden, mit einem tagarinischen Mohren in Ansehung des Schiffes, des Handels und Gewinns in Gesellschaft zu treten, unter diesem Scheine wolle er sich schon eine Barke verschaffen, womit dann das Hauptsächlichste geschehen sei. Wenn es mir und meinen Kameraden auch besser geschienen hätte, einen einer Barke wegen nach Majorca zu schicken, wie es die Mohrin vorgeschlagen, so wagten wir es doch nicht, ihm zu widersprechen, weil wir fürchteten, daß, wenn wir es nicht nach seinem Willen einrichteten, er uns verraten und in Lebensgefahr bringen könnte, auch daß er Zoraida verriete, für deren Leben wir mehr als für unser eigenes besorgt waren; wir beschlossen also, uns Gott und dem Renegaten zu vertrauen. Wir antworteten zugleich der Zoraida, daß wir alles so einrichten wollten, wie sie es riete, denn sie habe es so gut ersonnen, als wenn es ihr Lela Marien eingegeben habe, und daß es nur auf ihr selber beruhe, das Werk aufzuschieben oder zu beschleunigen. Ich versprach ihr wieder, ihr Gemahl zu werden, und am folgenden Tage, als das Bad zufälligerweise wieder einsam war, gab sie mir zu verschiedenen Malen mit dem Rohre und Tuche zweitausend goldene Taler, nebst einem Blatte, worin sie mir die Nachricht erteilte, daß sie den nächsten Juma – welches der Freitag ist – sich nach dem Garten ihres Vaters begäbe, daß sie uns aber vorher mehr Geld geben wolle, und wenn dieses noch nicht hinreiche, sollten wir es melden, denn sie wollte uns geben, soviel wir verlangten, weil ihr Vater so viel besitze, daß er es nicht vermisse, sie auch überdies alle Schlüssel in Verwahrung habe.
Wir gaben dem Renegaten fünfhundert Taler, um eine Barke zu kaufen; mit achthundert Talern kaufte ich mich los und gab das Geld einem valenzischen Kaufmann, der sich damals in Algier befand, der sein Wort darauf gab, daß er das Geld sogleich auszahlen wolle, sobald nur ein Schiff von Valenzia[355] ankomme, denn wenn er das Geld gleich gegeben hätte, hätte der König den Verdacht geschöpft, daß meine Ranzion schon seit lange in Algier sei und daß der Kaufmann sie zu seinem Gewinne benutzt hätte. Denn mein Herr war so sehr schlau, daß ich es auf keine Weise wagte, ihm das Geld gleich auszahlen zu lassen.
Den Donnerstag vor dem Freitage, ehe die schöne Zoraida nach dem Garten ziehen wollte, gab sie uns noch tausend Taler und benachrichtigte uns von ihrer Abreise, wobei sie mich bat, daß, wenn ich mich auslöste, ich mich schnell nach dem Garten ihres Vaters erkundigen solle und irgendeine Gelegenheit suchen, dorthin zu kommen, um sie zu sehen. Ich antwortete ihr kürzlich, ich würde es tun, sie aber möchte zu Lela Marien ihre Zuflucht nehmen und alle die Gebete sagen, die ihr die Sklavin gelehrt hätte.
Als dies geschehen war, mußten sich auch die andern drei Gefährten loskaufen, um das Bad desto bequemer verlassen zu können, und damit sie nicht, da ich mich losgekauft, sie aber noch gefangen waren und doch das Geld da sei, auf böse Gedanken verfielen und sich vom bösen Geist überreden ließen, etwas zum Nachteil der Zoraida zu unternehmen; da ich sie kannte, war zwar diese Furcht unnötig, aber doch wollte ich das Unternehmen auf kein ungewisses Spiel setzen, deshalb ließ ich sie ebenso ranzionieren, wie ich mich frei gemacht hatte, indem ich dem Kaufmann die ganze Summe übergab, damit er mit Sicherheit die Bürgschaft leisten könne; ihm entdeckten wir aber unser Geheimnis nicht, um uns keiner Gefahr auszusetzen.«
(Cervantes: Don Quijote, 1. Teil 4. Buch 9. Kapitel) - zum Schluss der Erzählung

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