07 Mai 2016

Don Quijote kämpft gegen eine Hammelherde

Unter solchen Gesprächen zog Don Quijote mit seinem Schildknappen dahin; da sah er, daß ihnen auf ihrer Straße eine große, dichte Staubwolke entgegenkam, und bei diesem Anblick wandte er sich zu Sancho und sprach: »Das ist der Tag, o Sancho, an dem man erschauen wird, welches Glück mein Schicksal mir vorbehalten hat; das ist der Tag, sage ich, an dem sich so gewaltig wie je die Kraft meines Armes zeigen wird und an dem ich Taten zu tun gedenke, die alle kommenden Jahrhunderte hindurch im Buche des Ruhmes verzeichnet bleiben sollen. Siehst du die Staubwolke, die dorten sich erhebt, Sancho? Wohl, sie ist ganz und gar von einem großmächtigen Heere aufgewirbelt, das mit seinen mannigfachen unzähligen Mannschaften dort hergezogen kommt.« »Demnach müßten es zwei Heere sein«, sagte Sancho; »denn dort erhebt sich gleichfalls von der entgegengesetzten Seite eine ähnliche Staubwolke.« Don Quijote schaute nochmals hin und sah, daß dem wirklich so war. Da freute er sich über die Maßen, da er nicht zweifelte, es seien zwei Kriegsheere, die da kämen, einander anzugreifen und inmitten dieser weiten Ebene sich zu schlagen. Denn er hatte zu jeder Stunde und Minute die Gedanken voll von jenen Kämpfen, Verzauberungen, Begebnissen, unsinnigen Unternehmungen, Liebschaften, Herausforderungen, die in den Ritterbüchern erzählt werden, und was er sprach, dachte und tat, lief alles auf dergleichen Dinge hinaus. Die Staubwolken aber, die er gesehen, waren von zwei großen Herden Schafen und Hammeln aufgerührt, die von zwei verschiedenen Seiten her dieses selben Weges kamen, die man aber des Staubes wegen nicht erkennen konnte, bis sie ganz nahe gekommen. Don Quijote bestand mit solchem Nachdruck darauf, es seien gewaffnete Heere, daß Sancho es zuletzt wirklich glaubte und ihm sagte: »Gnädiger Herr, was aber sollen wir denn nun tun?« »Was?« entgegnete Don Quijote, »den Bedrängten und Notleidenden beistehen und Hilfe leisten. Und du mußt wissen, Sancho: das Heer, das uns gerade entgegenkommt, das führt und leitet der große Kaiser Alifanfarón, Herr der großen Insel Trapobana; das andere, das mir im Rücken heranzieht, ist das seines Feindes, des Königs der Garamanten, Pentapolín mit dem aufgestreiften Arm, weil er stets mit entblößtem rechtem Arm in die Schlacht geht.« »Warum sind sich denn die beiden Herren einander so feind?« fragte Sancho. »Sie sind einander feind«, antwortete Don Quijote, »weil dieser Alifanfarón ein hartnäckiger Heide ist und sich in die Tochter des Pentapolín verliebt hat, die ein äußerst schönes und zudem sehr liebenswürdiges Fräulein ist; dazu ist sie eine Christin, und ihr Vater will sie dem heidnischen Könige nicht geben, wenn er nicht vorher dem Gesetze seines falschen Propheten Mohammed entsagt und sich zu seinem Glauben wendet.« »Bei meinem Barte«, sagte Sancho, »ich will nicht gesund sein, wenn der Pentapolín nicht sehr wohl daran tut, und ich werd ihm beistehen, soviel ich nur vermag.« »Da wirst du tun, was deine Pflicht fordert, Sancho«, sprach Don Quijote; »denn um an dergleichen Schlachten teilzunehmen, ist es nicht vonnöten, den Ritterschlag empfangen zu haben.« »Das begreife ich wohl«, entgegnete Sancho. »Aber wo werden wir unsern Esel hintun, um sicher zu sein, daß wir ihn nach dem Handgemenge wiederfinden? Denn so beritten in die Schlacht zu ziehen ist, glaub ich, bis zum heutigen Tag nicht der Brauch.« »So ist's in Wirklichkeit«, sagte Don Quijote. »Was du mit dem Tiere tun kannst, ist, es aufs Geratewohl laufen zu lassen, möge es sich nun verlieren oder nicht; denn wir werden so viel der Pferde haben, nachdem wir als Sieger aus der Schlacht gekehrt, daß sogar Rosinante Gefahr läuft, daß ich ihn vielleicht gegen ein andres Roß vertausche. Nun sei aber aufmerksam, denn ich will dir die vornehmsten Ritter kenntlich machen, die sich in diesen beiden Heeren befinden; damit du sie aber besser sehen und bemerken könnest, so wollen wir uns auf diese Anhöhe zurückziehen, von wo aus wir beide Heere genau beobachten können.« 
Sie taten es und stellten sich auf einen kleinen Hügel, von wo man die beiden Herden, die für Don Quixote zwei Armeen waren, gut genug hätte sehen können, wenn die Staubwolken, die sich erhoben, sie nicht verdeckt und den Augen entzogen hätten. Er sah aber dennoch mit seiner Einbildung alles, was er nicht wirklich sehen konnte, und fing nun mit erhobener Stimme also an: »Jenen Ritter, den du in gelber Rüstung siehst und der in seinem Schilde einen gekrönten Löwen führt, zu den Füßen einer Jungfrau hingeschmiegt, ist der tapfre Laurcalco, Herr von der silbernen Brücke. Jener dort, dessen Harnisch mit goldenen Blumen bestreut ist und der in seinem Schilde drei silberne Kronen im blauen Felde führt, ist der Großherzog von Quiraloia. Jener Riese dort, der ihm zur Rechten steht, ist der nie genug gepriesene Brandarbaran von der Kegelbahn, Herr von den dreien Arabien, der mit einer Drachenhaut bedeckt ist und als Schild eine Tür führt, welche, wie man sagt, von jenem Tempel genommen ist, den Simson einriß, als er sich durch seinen eigenen Tod an seinen Feinden rächte. Nun wende aber die Augen einmal auf jene Seite und schaue in dem Vortrabe jenes Heeres den stets siegenden und niemals besiegten Timonel von Carcajona, Herrn des neuen Biscayas, dessen Rüstung mit vier verschiedenen Farben prangt, mit blau, grün, weiß und gelb, in seinem Schilde führt er eine goldene Katze im hellen Felde, mit einem einzigen Worte zur Unterschrift, nämlich Miau, als den Anfang des Namens seiner Dame, die, wie man sagt, Miulina ist, die Tochter des Herzogs Marzipano von Algarbien. Jener dort, der so gewaltig den Rücken des ungeheuren Rosses belastet und dessen Rüstung so weiß wie der Schnee ist, ist ein neuer Ritter von französischer Nation, genannt Pierre Papin, Herr der Baronie Utrique. Jener, der die eisernen Fersen in die Seiten des bunten und gewandten Zebras stößt und ganz blaue Waffen führt, ist der ansehnliche Herzog von Nervia, Espartafilardo vom Walde, der als Sinnbild auf seinem Schilde eine Spargelstaude führt, mit der Unterschrift: Mein Glück steht niedrig.« So nannte er noch viele Ritter von einer wie von der andern Heerschar, die er sich einbildete, allen gab er aus dem Stegreife ihre Waffen, Farben, Sinnbilder und Inschriften, die er aus dem Schatze seiner unerhörten Torheit schöpfte; [...]

Sancho Pansa hing an des Ritters Lippen, ohne die seinigen zu einem Wort zu öffnen, nur hier und da den Kopf umwendend, um zu sehen, ob die Ritter und Riesen, die sein Herr nannte, auch ihm sichtbar würden; und da er nicht einen zu Gesicht bekam, sprach er zu ihm: »Gnädiger Herre, der Teufel soll's holen, weder Mensch noch Riese noch Ritter, soviel auch Euer Gnaden benamset, läßt sich weit und breit sehen; ich wenigstens erblicke keinen, es muß alles vielleicht nur Zauberei sein wie die Spukgestalten heut nacht.« »Wie kannst du das sagen?« entgegnete Don Quijote; »hörst du nicht das Wiehern der Rosse, das Blasen der Trompeten, das Rollen der Trommeln?« »Ich höre nichts andres«, antwortete Sancho, »als vielfaches Blöken von Schafen und Hammeln.« Und so war's auch in der Tat; denn die beiden Herden kamen bereits näher. »Die Furcht, die du fühlst, Sancho«, sprach Don Quijote, »macht, daß du nicht recht siehst und hörst; denn eine der Wirkungen der Furcht ist, die Sinne zu verwirren, so daß die Dinge nicht als das erscheinen, was sie sind. Ist's der Fall, daß du so arge Angst hast, so zieh dich seitwärts und laß mich allein; denn allein schon bin ich Manns genug, um der Partei, der ich meinen Beistand gewähre, den Sieg zu verschaffen.« Und mit diesen Worten gab er Rosinanten die Sporen, und mit eingelegtem Speer stürmte er wie der Blitz den Hügel hinunter. Sancho schrie ihm nach: »Kehret um, Señor Don Quijote, denn ich schwor's zu Gott, es sind Hammel und Schafe, die Ihr angreifen wollt; kehrt um! Weh über den Vater, der mich gezeugt! Was für Tollheit! Seht doch nur hin, es ist kein Riese da und kein Ritter, keine Katzen, keine Rüstungen, keine geviertelten und keine ganzen Schilde, keine Eisenhütlein, blaue nicht und nicht verteufelte; was tut Ihr? O ich armer Sünder gegen Gott und Menschen!« Allein Don Quijote kehrte nicht um; vielmehr ritt er voran mit dem lauten Ruf: »Auf, ihr Ritter, die ihr unter dem Banner des mannhaften Kaisers Pentapolín mit dem aufgestreiften Arme dienet und fechtet, folgt mir alle, und ihr sollt sehen, wie leicht ich ihn an seinem Feinde Alifanfarón von Trapobana räche!« Mit diesen Worten drang er mitten in die Schlachtschar der Schafe hinein und begann sie mit solcher Kühnheit und Entschlossenheit anzuspießen, als zückte er den Speer wirklich auf seine Todfeinde. Die Schafknechte und die Herren der Herde, die mit ihren Tieren daherkamen, schrien ihm zu, er solle davon ablassen; aber da sie sahen, daß sie nichts ausrichteten, zogen sie ihre Schleudern aus dem Gurt und begannen ihm die Ohren mit faustgroßen Steinen zu begrüßen. Don Quijote kümmerte sich nicht um die Steine, vielmehr sprengte er nach allen Seiten hin und her und rief: »Wo bist du, hochmütiger Alifanfarón? Komm heran! Her zu mir! Ein Ritter, ganz allein bin ich hier, will Mann gegen Mann deine Kraft erproben und will dir das Leben rauben, zum gerechten Lohn für den schlimmen Lohn, den du dem Pentapolín bezahlt, dem Garamanten!« In diesem Augenblick kam ein Bachkiesel geflogen, traf ihn in die Seite und schlug ihm zwei Rippen in den Leib hinein. Als er sich so übel zugerichtet sah, zweifelte er nicht, er sei zu Tode getroffen oder doch schwer verwundet; da fiel ihm sein Trank ein, er zog sein Krüglein hervor, setzte es an den Mund und begann das heilsame Naß in den Magen zu gießen. Aber ehe er das ihm genügend scheinende Maß völlig heruntergeschüttet, kam wieder eine Krachmandel und traf ihn so voll auf Hand und Krug, daß sie diesen in Stücke zerbrach, unterwegs ihm drei oder vier Vorder- und Backenzähne ausschlug und ihm zwei Finger arg zerquetschte. Derartig war der erste Wurf und derartig der zweite, daß der arme Ritter nicht anders konnte: er mußte vom Pferde herab zu Boden stürzen. [...]
Da sprach Sancho zu ihm: »Hab ich's Euch nicht gesagt, Señor Don Quijote, Ihr solltet umkehren, weil die, so Ihr angreifen wolltet, keine Kriegsheere, sondern Schafherden wären?« »Ja, auf solche Weise vermag jener Schurke von Zauberer, mein Feind, alles verschwinden zu lassen und umzugestalten! Du mußt wissen, Sancho, daß es den besagten Zauberern sehr leicht ist, alles vor uns erscheinen zu lassen, was sie wollen, und der Bösewicht, der mich verfolgt, neidisch auf den Ruhm, den er mich im Begriffe sah von diesem Kampfe zu gewinnen, hat die Feindesgeschwader in Schafherden verwandelt. [...]
Komm zu mir her und sieh nach, wieviel Backen- und Vorderzähne mir fehlen; denn es kommt mir vor, als wäre nicht einer mir im Munde übrig.« Sancho näherte sich seinem Herrn so dicht, daß er ihm beinahe mit den Augen in den Mund kam. Das geschah aber in dem Augenblick, wo der Balsam bereits in Don Quijotes Magen seine Wirkung getan, und gerade als Sancho sich näherte, um ihm in den Mund zu sehen, warf der Ritter mit größerer Gewalt, als eine Büchse schießt, alles aus, was er bei sich hatte, und schleuderte das Ganze dem mitleidigen Schildknappen ins Gesicht. »Heilige Mutter Gottes!« rief Sancho, »was ist mir da geschehen? Gewiß ist der Sündenmensch auf den Tod verwundet, da er Blut aus dem Munde bricht.« Aber indem er es sich etwas genauer betrachtete, merkte er an Farbe, Geschmack und Geruch, daß es keineswegs Blut, sondern der Balsam aus dem Kruge war, den er ihn hatte trinken sehen; und der Ekel, der ihn dabei befiel, war so groß, daß der Magen sich in ihm umdrehte und er sein ganzes Inneres auf seinen eigenen Herrn herausbrach; und beide sahen nun gar köstlich aus.
(Cervantes: Don Quijote 1.Teil 3.Buch 4. Kapitel)

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