25 April 2016

Der Kampf gegen die Windmühlen

Von dem guten Glücke, welches der tapfere Don Quixote in dem greulichen und unerhörten Abenteuer mit den Windmühlen hatte, nebst anderen Glücksfällen, die der Aufbewahrung würdig.

Indem sahen sie wohl dreißig bis vierzig Windmühlen, die auf jenem Felde stehen, und sowie sie Don Quixote erblickte, sagte er zu seinem Stallmeister: »Das Glück führt unsre Sache besser, als wir es nur wünschen konnten, denn siehe, Freund Sancho, dort zeigen sich dreißig oder noch mehr ungeheure Riesen, mit denen ich eine Schlacht zu halten gesonnen bin und ihnen allen das Leben zu nehmen; mit der Beute von ihnen wollen wir den Anfang unsers Reichtums machen, denn dies ist ein trefflicher Krieg und selbst ein Gottesdienst, diese Brut vom Angesichte der Erde zu vertilgen.«
»Welche Riesen?« fragte Sancho Pansa.
»Die du dorten siehst«, antwortete sein Herr, »mit den gewaltigen Armen, die zuweilen wohl zwei Meilen lang sind.«
»Seht doch hin, gnädiger Herr«, sagte Sancho, »daß das, was da steht, keine Riesen, sondern Windmühlen sind, und was Ihr für die Arme haltet, sind die Flügel, die der Wind umdreht, wodurch der Mühlstein in Gang gebracht wird.«
»Es scheint wohl«, antwortete Don Quixote, »daß du in Abenteuern nicht sonderlich bewandert bist, es sind Riesen, und wenn du dich fürchtest, so gehe von hier und ergib dich indessen dem Gebete, indem ich die schreckliche und ungleiche Schlacht mit ihnen beginne.«
Mit diesen Worten gab er seinem Pferde Rozinante die Sporen, ohne auf die Stimme seines Stallmeisters Sancho zu achten, der ihm noch immer nachrief, daß es ganz gewiß Windmühlen und nicht Riesen wären, was er angreifen wollte. Aber er war so fest von den Riesen überzeugt, daß er weder nach der Stimme seines Stallmeisters Sancho hörte noch etwas anders sah, ob er ihnen gleich schon ganz nahe gekommen war, vielmehr rief er jetzt mit lauter Stimme: »Entflieht nicht, ihr feigherzigen und niederträchtigen Kreaturen! Ein einziger Ritter ist es, der euch die Stirn beut!« Indem erhob sich ein kleiner Wind, der die großen Flügel in Bewegung setzte; als Don Quixote dies gewahr ward, fuhr er fort: »Strecktet ihr auch mehr Arme aus, als der Riese Briareus, so sollt ihr es dennoch bezahlen!« Und indem er dies sagte und sich mit ganzer Seele seiner Gebieterin Dulcinea empfahl, die er flehte, ihm in dieser Gefährlichkeit zu helfen, wohl von seinem Schilde bedeckt, die Lanze im Haken eingelegt, sprengte er mit dem Rozinante im vollen Galopp auf die vorderste Windmühle los und gab ihr einen Lanzenstich in den Flügel, den der Wind so heftig herumdrehte, daß die Lanze in Stücke sprang, Pferd und Reiter aber eine große Strecke über das Feld weggeschleudert wurden.
Sancho Pansa trabte mit der größten Eilfertigkeit seines Esels herbei, und als er hinzukam, fand er, daß Don Quixote sich nicht rühren konnte, so gewaltig war der Sturz, den Rozinante getan hatte. »Gott steh uns bei!« sagte Sancho, »sagte ich's Euer Gnaden nicht, daß Ihr zusehen möchtet, was Ihr tätet, und daß es nur Windmühlen wären, die ja auch jeder kennen muß, wer nicht selber welche im Kopfe hat!« – »Gib dich zur Ruhe, Freund Sancho«, antwortete Don Quixote, »das ist Kriegesglück, das am meisten von allen Dingen einem ewigen Wechsel unterworfen ist; um so mehr, da ich glaube und es auch gewiß wahr ist, daß eben der weise Freston, der mir mein Zimmer und meine Bücher geraubt hat, mir auch jetzt diese Riesen in Mühlen verwandelt, um mir den Ruhm ihrer Besiegung zu entreißen. So groß ist die Feindschaft, die er zu mir trägt! Aber endlich, endlich wird er doch mit allen seinen bösen Künsten nichts gegen die Tugend meines Schwertes vermögen!«
Don Quixote schlief die ganze Nacht hindurch nicht, sondern gedachte an seine Gebieterin Dulcinea, um es nachzutun, was er in seinen Büchern gelesen, wie die Ritter ohne Schlaf viele Nächte in den Waldungen und Einöden zubrachten und sich mit dem Andenken ihrer Herrscherinnen unterhielten. Nicht also trieb es Sancho Pansa, der, da er den Magen, und zwar mit keinem Habersüppchen, angefüllt hatte, die ganze Nacht aus einem Stücke schlief und auch nachher nicht erwacht wäre, wenn ihn sein Herr nicht aufgeweckt hätte, denn die Strahlen der Sonne, die ihm auf das Gesicht schienen, sowie der Gesang der Vögel, die von allen Zweigen mit jubelndem Gesange die Ankunft des neuen Tages feierten, vermochten es nicht. Als er sich ermuntert hatte, schenkte er seinem Schlauche eine Umarmung, wobei er ihn viel eingefallener fand als den Abend vorher und sich von Herzen darüber betrübte, weil es nicht aussah, als wenn sie auf diesem Wege seine Auszehrung bald würden heilen können. Don Quixote begehrte nicht zu frühstücken, weil er sich, wie schon gesagt, mit nahrhaften Vorstellungen unterhalten hatte.
Sie ritten auf der Straße nach dem Passe Lapice weiter, den sie auch drei Stunden nach Sonnenaufgang entdeckten. »Hier«, rief Don Quixote, als er ihn erblickte, »Bruder Sancho, hier können wir die Hände bis an die Ellenbogen hinauf in das tauchen, was man Abenteuer nennt, aber vernimm, daß, wenn du mich auch in der allergrößten Gefahr erblicken solltest, du doch niemals die Hand an den Degen legen sollst, um mich zu verteidigen, außer du müßtest gewahr werden, daß ich vom Pöbel oder gemeinen Volke beleidigt würde, in einem solchen Falle ist es dir gestattet, mir beizustehen; sind es aber Ritter, so ist es dir nach den Rittergesetzen keinesweges erlaubt oder vergönnt, mir zu helfen, bis du selbst zum Ritter geschlagen bist.« 
»Seid versichert, gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »daß ich Euch darinne pünktlich Gehorsam leiste, vollends da ich sehr friedliebend bin und mich nicht gern in Schlägereien und Händel einmenge; aber freilich, wenn einer meine eigne Person angreifen wollte, da würde ich nach Euren Gesetzen nicht fragen, denn göttliche und menschliche Gesetze erlauben, daß sich jedermann wehren darf, wenn ihm was zuleide geschieht.« [...]
Also, wie gemeldet, rannte Don Quixote gegen den vorsichtigen Biscayer, das Schwert geschwungen und mit dem Vorsatze, ihn mitten durchzuhauen. Ebenso erwartete ihn der Biscayer, das Schwert geschwungen, von seinem Kissen geschirmt, und alle Umstehenden voll Furcht und Erwartung, was sich aus diesen gräßlichen Hieben ergeben möchte, mit denen sie sich beiderseits bedrohten; die Dame in der Kutsche und ihre Bedienten taten allen Heiligenbildern und Kapellen in Spanien tausend Gelübde, daß Gott ihren Diener und sie selber aus einer so großen Gefahr erretten möge.
Das ist aber nun schade und zu beklagen, daß in diesem Moment und Zeitpunkt der Autor dieser Historie diese Schlacht abbricht, mit der Entschuldigung, daß er nichts Weiteres von Don Quixotes Taten vorgefunden, als was er bereits erzählt habe. Der zweite Autor dieses Werkes konnte aber unmöglich glauben, daß eine so treffliche Geschichte so ganz der Vergessenheit sollte überliefert sein oder daß die herrlichen Köpfe in la Mancha so wenig Wißbegier haben sollten, daß sich nicht noch in den Archiven oder in einigen Schreibpulten Papiere vorfinden dürften, die von diesem berühmten Ritter Meldung tun. Diesen Gedanken also nährend, verzweifelte er nicht, den Schluß dieser anmutigen Historie anzutreffen, welches ihm auch, unter Begünstigung des Himmels, auf die Weise gelungen ist, die im zweiten Teile erzählt werden soll.
(Cervantes: Don Quijote 1. Teil 1. Buch 8. Kapitel)

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