12 April 2016

Lais an Aristipp über unser Bild vom Tod

Lais an Aristipp:
"Indessen mag es wohl ganz gut für uns seyn, daß alles Gewicht der Gründe, die uns den Tod in einem so fröhlichen Lichte zeigen, dennoch keine völlige Gewißheit hervorbringt; so daß ein Sokrates selbst nicht mehr dadurch gewinnt, als es zuletzt, mit einer gewissen zwischen Hoffnung und Gleichgültigkeit leise hin- und herschwebenden Ruhe, darauf ankommen zu lassen, was an der Sache seyn werde. Wären wir völlig gewiß, daß uns der Tod zu einer so großen Verbesserung unsrer Existenz befördern werde, wie ihr andern Filosofen uns so sinnreich vorzuspiegeln wißt, wer wollte in den nackten Felsen von Serifos grau werden, wenn er nur seinen Kahn vom Ufer abzuschneiden brauchte, um in das zauberische Land der Hesperiden oder in Platons überirdische Erde hinüber zu fahren? Denn was dieser seinen Sokrates über unsre vorgebliche Soldatenpflicht – »unsern Posten nicht eher zu verlassen bis wir abgelöst werden« – sagen läßt, überzeugt mich nicht; und ich sehe nicht ein, was meine Freyheit über mich selbst zu gebieten beschränken sollte, sobald meine dermahlige Existenz nicht anders als unter unerträglichen Bedingungen verlängert werden kann."
(Wieland: Aristipp und einige seiner Zeitgenossen,  1. Band, Brief 62)

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