07 März 2016

Sigrid Damm: Vögel, die verkünden Land (Goethe und Lenz)

Sigrid Damm: Vögel, die verkünden Land, it 1399

Damms Biographie von Lenz, dem Freund Goethes aus der Straßburger Zeit und dem Gegenstand von Büchners Erzählfragment, zeichnet ein Bild der Zeit, das mich auch Goethe viel plastischer und wirklichkeitsnäher sehen läßt. 
Goethe, der mit dem jungen 18jährigen Herzog zunächst einige Monate allerlei genialischfreundschaftliche Fest- und Urlaubsaktivitäten betrieben hat, läßt sich dann zum Minister machen. Seine Hoffnungen auf - realistisch betriebene - Reformen erfüllen sich freilich nicht. Er bleibt im klein klein stecken und wird nach zehn Jahren mit der italienischen Reise die Fesseln abwerfen. Alle Selbstverleugnung, etwa daß er für Friedrich den Großen persönlich Rekruten aushebt, um zu verhindern, daß die preußischen Werber ins Land kommen, hat ihm letztendlich nicht geholfen. Während er als Soldatenwerber herumzieht, schreibt er die Iphigenie. "... es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolda hungerte". 
Lenz läßt sich nicht auf das Spiel ein, das Goethe später auch aufgeben wird. Als Goethe seine Stelle annimmt, geht er in das Nachbarstädtchen Berka. Da bleibt ihm die Rolle des armen Poeten. Als solcher verbringt er auch Wochen auf dem Landgut Kochberg bei Frau von Stein, während deren Mann und Goethe in Geschäften in Weimar, Ilmenau usw. sind. Goethe gegenüber Lenz von Mitleid, aber auch von etwas Eifersucht bestimmt. Später kommt es dann dazu, daß Lenz Goethe beleidigt und Goethe dessen Vertreibung aus Weimar betreibt. Alle Fürsprache der Freunde, die Lenz am Hof hat (u.a. Herzogin Amalia) hilft ihm nicht gegen den Favoriten des regierenden Herzogs. Worin die Beleidigung bestand, wissen wir nicht. Vermutlich hat sie sich darauf bezogen, daß Goethe sich zum Fürstendiener gemacht hat. Wir wissen nur, daß Wieland Lenz in einem Brief aus Weimar in Schutz nimmt. 
Goethes Briefe an Lenz hat Goethe zurückgefordert, über Frau von Stein dann auch erhalten und offenbar verbrannt, außer Wieland schweigen alle am Hof über diese Affäre. Lenzens Reformpläne gingen weiter als die Goethes. Er hoffte freilich noch auf den Erfolg von Denkschriften. Büchner wird später - nach der französischen Revolution - sich zusammen mit Weidig direkt an die Bauern wenden. Freilich auch er vergeblich und schon früh in der Erkenntnis, daß es vergeblich sein wird. Die geistige Nachbarschaft von Büchner und Lenz scheint nach dieser Biographie doch recht groß. Insgesamt sagt mir das Buch noch mehr als Film über Lenz.

Ergänzend:
"Schwierig freilich bleibt der Pfarrersohn aus dem Baltikum auch für den an ihm Interessierten, der sich um eine differenzierte Sichtweise bemüht. Allein der Verlauf seines Lebens und sein Selbstverständnis unterscheiden Lenz auffällig von den anderen Stürmern und Drängern, die allesamt über kurz oder lang annehmbare bis glänzende Karrieren machten. Lenz fehlte hierzu im Grund jeglicher Impuls. Als sein ebenso engstirniger wie ehrgeiziger Vater (1759 Oberpastor in Dorpat, seit 1779 Generalsuperintendent für ganz Livland in Riga) ihm befahl, bis Michaelis 1771 das Theologiestudium an der Königsberger Universität abzuschließen, entzog sich Lenz dieser Anweisung. [...]
Symptomatisch läßt sich gerade an dieser hellen Phase ablesen, in welchem Ausmaß Diskontinuität, Zufall, Fixierung und der allumfassende Goethebezug Lenz‘ Leben und Schaffen bestimmten. Nicht in schrittweiser Entfaltung, sondern in einem gewaltigen Schub gelangten in einem einzigen Jahr vier zentrale Werke unterschiedlicher Ausrichtung zum Druck. 1774, also im Erscheinungsjahr von Goethes Sensations- und Erfolgsroman Werther, wurden die beiden Komödien Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung und Der neue Menoza oder Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi, ferner die grundlegende theoretische Abhandlung Anmerkungen übers Theater und schließlich die wichtigen Übertragungen Lustspiele nach dem Plautus gedruckt. Alle anonym! Als ihr Verfasser galt gemeinhin Goethe." (kulturportal-west-ost)

Lenz Anfang März 1776 von Straßburg aus an Heinrich Julius von Lindau
(Lenz ist als Soldat bei den englischen Truppen im Kampf gegen die 13 Kolonien)

"In der Magna charta von England steht kein Wort vom Unterhause. Nur durch das Geld das sie dem König Eduard stießen brachten sie es bei ihm dahin.
Auch werden es die Kolonisten nicht lange machen alles rüstet wider sie und das Geld wird ihnen in die Länge auch schon fehlen. Schreibt aus Amerika an mich wenn Ihr Euren Peter* verlangt kann er künftiges Frühjahr ein wenig gescheuter mit den Schiffen zu euch kommen. 
Greven ist bei Euch, grüßt ihn feurig wenn er mich gleich nicht leiden kann." Lenz - Briefe,  Insel Taschenbuch it 1443, S.405 [Nachtrag vom 16.7.18]
*Lindau hat seinen 10jährigen Adoptivsohn Peter gegen Kostgeld in Pflege gegeben. Lenz lässt Peter zurück und reist allein nach Weimar, wo er auf seinen Freund Goethe setzt, der am Hof gut angeschrieben ist. (S. Damm: Vögel, die verkünden Land, it 1399, S.181f.)

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