24 März 2016

Das Bild, was wir von uns selbst haben, und das, was wir von unseren Mitmenschen haben, beeinflussen sich gegenseitig

Es ist unstreitig einer der größesten Vorteile, wo nicht der einzige, den ein denkender Mensch aus dem Leben in der großen Welt mit sich nimmt, wofern es ihm jemals so gut wird, sich wieder aus derselben herauswinden zu können—daß er die Menschen darin kennen gelernt hat. Es läßt sich zwar gegen diese Art von Kenntnis der Menschen, aus guten Gründen eben so viel einwenden, als gegen diejenige, welche man aus der Geschichte, und den Schriften der Dichter, Sittenlehrer, Satyristen und Romanenmacher zieht—oder gegen irgend eine andere: Aber man muß hingegen auch gestehen, daß sie wenigstens eben so zuverlässig ist, als irgend eine andre; ja daß sie es noch in einem höhern Grade ist, wenn anders das Subjekt, bei dem sie sich befindet, mit allen den Eigenschaften versehen ist, die zu einem Beobachter erfordert werden. [...]
Agathon fragte sich:
Wieviel ließ ich von meinen Grundsätzen nach, wie tief stimmte ich mich selbst herab, da ich die Unmöglichkeit sah, diejenigen mit denen ich's zu tun hatte, so weit zu mir heraufzuziehen? Wozu half es mir?—ich konnte mich nicht entschließen niederträchtig zu handeln, ein Schmeichler, ein Kuppler, ein Verräter an dem wahren Interesse des Fürsten und des Landes zu werden — und so verlor' ich die Gunst des Fürsten, und die einzige Belohnung, die ich für meine Arbeiten verlange, die Vorteile, welche dieses Land von meiner Verwaltung zu genießen anfing, auf einmal, weil ich mich nicht dazu bequemen konnte, alles für anständig und recht zu halten, was nützlich ist — O! gewiß Hippias, deine Begriffe und Maximen, deine Moral, deine Staatskunst, gründen sich auf die Erfahrung aller Zeiten. Wenn sind die Menschen jemals anders gewesen? [...]
Was ist denn die wahre Tugend anders, als ein immerwährender Streit mit den Leidenschaften, Torheiten und Lastern—in uns, und außer uns?"—"Vortrefflich!—und in Bunyans 'Reise' so wohl ausgeführt, meine Herren, daß ihr uns hier weiter nichts zu sagen braucht. Es ist bedaurlich, daß unser Held seine Rolle nicht besser behauptet [...]
Aber sobald wir in unsrer Meinung von uns selbst fallen, sinkt durch eine innerliche Gewalt über welche wir nicht Meister sind, unsre Meinung von der ganzen Gattung zu welcher wir gehören; wir verwundern uns, daß wir nicht eher wahrgenommen, daß die Torheiten, die Laster derjenigen, unter denen wir leben, Gebrechen der Natur selbst sind, denen (mehr oder weniger, auf diese oder eine andre Art, je nachdem Zeit, Umstände, Temperament und Gewohnheit es mit sich bringen) ein jeder unterworfen ist; je genauer wir die Menschen untersuchen, je mehr Gründe finden wir, so zu denken; und diese Denkungsart flößet uns, zu eben der Zeit, da sie uns eine gewisse Geringschätzung gegen die ganze Gattung gibt, mehr Nachsicht gegen die Fehler und Gebrechen der einzelnen Personen, und besondern Gesellschaften, mit denen wir in Verhältnis stehen, ein; so daß wir das, was wir an jenem tugendhaften Schwulst, welchen die Einfalt übereilter Weise für die Tugend selbst hält, verlieren, zu eben der Zeit an den notwendigsten und liebenswürdigsten Tugenden, an Geselligkeit und Mäßigung gewinnen: Tugenden, welche zwar nichts blendendes haben, aber desto mehr Wärme geben, und uns desto geschickter machen, unter Geschöpfen zu leben, welche ihrer alle Augenblicke benötiget sind. [...]
Die Begriffe, welche wir uns von unsrer eignen Natur machen, haben einen entscheidenden Einfluß auf alle unsre übrigen Begriffe. So irrig, so lächerlich und kindisch es ist, wenn wir uns einbilden (und doch bilden sich das die Meisten ein) daß der Mensch die Hauptfigur in der ganzen Schöpfung, und alles andere bloß um seinetwillen da sei—So natürlich ist hingegen, daß er es in dem besondern System seiner eignen Ideen ist. In dieser kleinen Welt ist und bleibt er, er wolle oder wolle nicht, der Mittelpunkt—der Held des Stücks, auf den alles sich bezieht, und dessen Glück oder Fall alles entscheidet. Alles ist groß, wichtig, interessant, wenn die Hauptperson wichtig ist, und eine große Rolle zu spielen hat; aber wenn Scapin oder Harlekin der Held ist, was kann das ganze Stück anders sein, als eine Farce?" [...]
Der Oromasdes und Arimanius der alten Persen werden uns nicht als tödlichere Feinde vorgestellt, als es der komische Geist, und der Geist des Enthusiasmus sind; und die natürliche Antipathie dieser beiden Geister wird dadurch nicht wenig vermehrt, daß beide gleich geneigt sind, über die Grenzen der Mäßigung hinauszuschweifen. Der Enthusiastische Geist sieht alles in einem strengen feierlichen Licht; der Komische alles in einem milden und lachenden; nichts ist dem ersten leichter als so weit zugehen, bis ihm alles, was Spiel und Scherz heißt, verdammlich vorkommt; nichts dem andern leichter, als gerade in demjenigen, was jener mit der größesten Ernsthaftigkeit behandelt, am meisten Stoff zum Scherzen und Lachen zu finden. [...]
Zu gutem Glück sehen wir ihn im Begriff, zu Leuten zukommen, welche ihn mit der Menschheit wieder aussöhnen, und seinem schon erkältenden Herzen diese beseelende Wärme wieder mitteilen werden,  [...] daß wir uns Hoffnung machen können, aus dem Streit der beiden widerwärtigen und feindlichen Geister, wodurch seine ganze innerliche Verfassung seit einiger Zeit erschüttert, verwirrt und in Gärung gesetzt worden, zuletzt eine eben so schöne Harmonie von Weisheit und Tugend hervorkommen zu sehen, wie nach dem System der alten Morgenländischen Weisen, aus dem Streit der Finsternis und des Lichts, diese schöne Welt hervorgegangen sein soll. [...]
Unser Verfasser wollte dem Vorwurf ausweichen, welchen Horaz gleichnisweise in dem bekannten Verse-… Amphora coepit Institui—currente rotâ cur urceus exit?- denjenigen Dichtern macht, in deren Werken das Ende sich nicht zu dem Anfang schickt. Er wollte in seinem Helden, dessen Jugend und erste Auftritte in der Welt so große Hoffnungen erweckt hatten, nachdem er ihn durch so viele verschiedene Umstände geführt, als er für nötig hielt seine Tugend zu prüfen, zu läutern und zu der gehörigen Konsistenz zu bringen, am Ende einen so weisen und tugendhaften Mann darstellen, als man nur immer unter der Sonne zu sehen wünschen, oder nach Gestalt der Sachen, erwarten könnte. Der Enthusiasmus, der die eigentliche Anlage seines Helden zu einem mehr als gewöhnlichen Grade moralischer Vollkommenheit enthielt, verhinderte ihn zu eben der Zeit da er seine Tugend erhöhte, so weise zu sein, als man sein muß, um nicht mit den erhabensten Begriffen, und den edelsten Gesinnungen, von sich selbst und von andern betrogen zu werden.

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