26 März 2016

Agathon bei Archytas in Tarent

Stellet euch einen großen stattlichen Mann vor, dessen Ansehen beim ersten Blick ankündiget, daß er dazu gemacht ist, andre zu regieren, und dem ihr ungeachtet seiner silbernen Haare noch ganz wohl ansehen könnet, daß er vor fünfzig Jahren ein schöner Mann gewesen ist—Ihr erinnert euch ohne Zweifel dergleichen gesehen zu haben; aber das ist es noch nicht—Stellet euch vor, daß dieser Mann in dem ganzen Laufe seines Lebens ein tugendhafter Mann gewesen ist; daß eine lange Reihe von Jahren seine Tugend zu Weisheit gereift hat; daß die unbewölkte Heiterkeit seiner Seele, die Ruhe seines Herzens, die allgemeine Güte wovon es beseelt ist, das stille Bewußtsein eines unschuldigen und mit guten Taten erfüllten Lebens, sich in seinen Augen und in seiner ganzen Gesichts-Bildung mit einer Wahrheit, mit einem Ausdruck von stiller Größe und Würdigkeit abmalt, dessen Macht man fühlen muß, man wolle oder nicht — [...]
Die zuverlässigste Probe über die Güte der Philosophie des weisen Archytas ist, wie uns deucht, der moralische Charakter, den ihm das einstimmige Zeugnis der Alten beilegt. [...]
Alle Hausgenossen, bis auf die unterste Klasse der Bedienten, waren eines solchen Hausvaters würdig. Jedes schien für den Platz, den es einnahm, ausdrücklich gemacht zu sein. [...]
In der Tat erriet er die Sache aufs erstemal; Psyche war seit einigen Monaten die Gemahlin des Critolaus. Unsere Leser sehen nun auf den ersten Blick, was für schöne Gelegenheit zu pathetischen Beschreibungen und tragischen Auftritten uns dieser kleine Umstand gibt — was für eine Situation! Den Gegenstand der zärtlichsten Neigung seines Herzens, seine erste Liebe, nach einer langen schmerzlichen Trennung unverhofft wieder finden, aber nur dazu wieder finden, um sie in den Armen eines andern, und was uns nicht einmal das Recht zu klagen, zu wüten und Rache zu schnauben übrig läßt, in den Armen unsers liebsten Freundes zu sehen! — Zu gutem Glück für unsern Helden — und für den Autor — waren diejenigen, welche in diesem Augenblick Zeugen von seiner Bestürzung waren, keine so passionierte Liebhaber pathetischer Auftritte, daß sie hätten fähig sein können, an seiner Qual Vergnügen zu finden.  [...]

Keine Kommentare: