18 Oktober 2015

Der große Brand

»Ihr wißt, meine Waffenbrüder«, begann der Augustus, mit einem müden, trüben Lächeln auf dem zuckenden Mund, »ich pflege nur mit meinen Göttern Kriegsrat zu halten, nicht mit meinen Feldherren. Diese erfahren nur meine fertigen Beschlüsse. So auch jetzt. Diese Nacht offenbarten mir die Götter im Traume das Notwendige. Alle Vorräte und die ganze Flotte –, sie werden hier verbrannt.«
Ein Ruf, nein, ein Schrei des Staunens, des Schreckens, der Mißbilligung entrang sich aller Munde. Nur der Perser schwieg, er wußte offenbar schon um den Beschluß. »Mein Imperator«, begann der alte Severus, das ist...« – »Beschlossen. Also getan.« – »Über zweihundert Stunden weit«, sprach Jovian warnend, »haben wir, mit unendlicher Mühe, mit vielem Schweiß und Blut, Schiffe und Vorräte von Antiodiia bis Ktesiphon geschleppt...« – »Gut also, daß wir sie nicht nochmal schleppen müssen. Mit Mühe fuhren sie zu Tal, zu Berg den Tigris, den Euphrat hinauf, sind sie gar nicht zu fahren. Kein Schiff geht über Ktesiphon stromaufwärts über Wehre, Stromschnellen und Wasserfälle: Weder Segel noch Ruder noch angestemmte Schultern und gestraffte Seile leisten das. Sollen wir unsere Flotte dem neuen Surenas schenken, sie kampflos, als Beute stromabwärts zu führen? Und fehlen die Schiffe, wer soll die Lasten der Vorräte tragen? Für sechzigtausend hab ich mitgeführt – fünfundzwanzigtausend habe ich. Sollen diese, bepackt wie Lasttiere, zugleich die Parther abwehren? Unmöglich!«
»Je die Hälfte ...« warf Serapion ein, »muß tragen, die andere fechten.« Aber eigenwillig fuhr der Feldherr fort: »Ganz unmöglich. Aber, meint ihr, wovon wir leben sollen? Ei, mag nun der Krieg den Krieg ernähren. Reich und fruchtbar sind die Landschaften, durch die unser Rückzug führt. Ich weiß es aus den Büchern, und Freund Nohordates hier hat es bestätigt.«
Tief verneigte sich der Perser und sprach: »Es ist die Wahrheit.« – »Ja«, entgegnete Severus, »ich weiß es auch. Ich durchzog das Land einst im Frieden als Gesandter. Aber die Einwohner werden im Krieg ...« – »Entweder gutwillig verkaufen oder gezwungen hergeben, was wir brauchen. Daß sie es haben, steht fest. Und fest steht mein Entschluß. Den besten landeskundigen Führer gewannen wir an unserem Freunde hier. Er versprach mir, unsere Vorhut nach Corduene zu leiten. Nun, was zögert ihr? Was habt ihr noch auf dem Herzen?«
»Herr, das Heer! Wie wird es diesen Beschluß – diese ungeheure Brandstiftung – aufnehmen?« wagte Severus zu fragen. »Ich fürchte, sie werden murren«, meinte Nevitta.
»So werde ich ihnen selbst den Beschluß eröffnen. Wie ich selbst die erste Fackel in das erste Schiff, in den ersten Getreidewagen werfen werde. Und verkünden auch werd ich ihnen, was meinen Entschluß entschied: meinen Traum von heute nacht! Der Traumgott, dem ich geopfert habe, zeigte mir in den Morgenstunden den Gott Hephaistos in flammender Lohe. ›Dieser‹, erscholl eine Stimme, ›wird dein Helfer sein.‹ Und als ich dem bärtigen Gott ins Antlitz sah; die Züge dieses Persers wies er auf. Mit Schwanken über den Brand, mit Zweifeln auch an dem Überläufer war ich eingeschlafen. Der göttergesandte Traum hat – (wie in Zabern damals) – mein Schwanken, meine Zweifel überwunden. Blind vertraute ich allem, was die Götter sandten: dem Traum, dem Brandbeschluß und dem Satrapen als Wegführer. Geht nun! Ruft das Heer zusammen! In einer Stunde steht hier alles in Flammen und wir ziehen ab, nach Norden, nach Armenien, die treulosen Galiläer zu bestrafen.«
Mit schwerem Herzen verabschiedeten sich die Führer von Julian, der nur den Perser bei sich im Zelt zurückbehielt, mit ihm über die Straßen des Rückzugs Rat zu pflegen, und Lysias zu sich beschied, ein großes Opfer für Hephaistos vorzubereiten.
»Das größte Opfer für Hephaistos«, sprach Serapio zu Jovian, »sind unsere Flotte, unser Getreide und unsere Rettung. Er ist wie mit Blindheit geschlagen! Ach, gegen seine ›Götter‹ kämpft seine Weisheit vergebens!«
Die kunstvolle Rede, in welcher der Augustus dem versammelten Heer jenen verhängnisvollen Beschluß verkündete und zu begründen versuchte, ward mit eisigem Schweigen, mit stets steigendem Staunen, mit Besorgnis, zuletzt mit laut murrendem Unwillen angehört. Und, als gegen Abend, nach vollendetem Opfer für den Feuergott, von Julians eigener Hand entzündet, die mächtige Kriegsflotte und die auf den Lastschiffen sowie in dem Lager aufgehäuften vielen tausend Wagen, Kisten und Säcke voll Getreide in Flammen aufgingen – ein schauerlich prachtvoller Anblick –, da begrüßten ihn die Perser auf den Wällen von Ktesiphon mit Jubel. Sie sagten, Ormuzd habe Stolz, Macht und Hoffnung der Feinde durch himmlisches Feuer von oben zerstört.
Die Römer aber wurden von Furcht, von Entsetzen über das selbstzerstörerische Tun ihres Feldherrn ergriffen: »Er ist von Dämonen besessen«, flüsterten die Christen unter ihnen. »Es ist die Strafe seiner Abtrünnigkeit, seines Eidbruches. Die Weissagung des großen Athanasius erfüllte sich. Er raset gegen sich selbst.«
Und eine Wandlung, eine Verdüsterung des Geistes war allerdings in Julian eingetreten seit jenem Tage zu Circesium. Schwermut und Übererregung wechselten rasch in ihm ab, und der gesteigerte Haß gegen die Christen erhöhte merklich den Einfluß des Lysias.
Felix Dahn: Julian der Abtrünnige, 39. Kap. (104)

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