15 August 2014

Punch, der englische Kasperle

Es ist dies ›Punch‹, der englische, ganz vom italienischen verschiedene Pulcinella, dessen getreue Abbildung ich hier beifüge, wie er eben seine Frau totschlägt, denn er ist der gottloseste Komiker, der mir noch vorgekommen ist, und so complet ohne Gewissen, wie das Holz, aus dem er gemacht ist, und ein wenig auch die Klasse der Nation, welche er repräsentiert. Punch hat, wie sein Namensvetter, auch etwas von Arrak Zitronen und Zucker in sich, stark, sauer und süß, und dabei von einem Charakter, der dem Rausche, welchen jener herbeiführt, ziemlich gleich ist. Er ist überdies der vollendetste Egoist, den die Erde trägt, et ne doute jamais de rien. Mit dieser unbezwingbaren Lustigkeit und Laune besiegt er auch alles, lacht der Gesetze, der Menschen, und selbst des Teufels, und zeigt in diesem Bilde zum Teil, was der Engländer ist, zum Teil, was er sein möchte, nämlich Eigennutz, Ausdauer, Mut, und wo es sein muß, rücksichtslose Entschlossenheit auf der vaterländischen Seite, unerschütterlichen leichten Sinn und stets fertigen Witz auf der ausländischen – aber erlaube, daß ich, sozusagen mit Punchs eignen Worten, ihn weiter schildere, und aus seiner Biographie noch einige fernere Nachrichten über ihn mitteile. Als ein Nachkomme Pulcinellas aus Acerra ist er für's erste unbezweifelt ein alter Edelmann, und Harlekin, Clown, der deutsche Kasperle selbst u.s.w. gehören zu seiner nahen Vetterschaft, er jedoch paßt, wegen seiner großen Kühnheit, am besten zum Familien-Chef. Fromm ist er leider nicht, aber als guter Engländer geht er doch ohne Zweifel Sonntags in die Kirche, wenn er auch gleich darauf einen Priester totschlägt, der ihn zu sehr mit Bekehrungsversuchen ennuyiert. Es ist nicht zu leugnen, Punch ist ein wilder Kerl, keine sehr moralische personnage, und nicht umsonst von Holz. Niemand z. B. kann besser boxen, denn fremde Schläge fühlt er nicht, und seine eignen sind unwiderstehlich. Dabei ist er ein wahrer Türke in der geringen Achtung menschlichen Lebens, leidet keinen Widerspruch, und fürchtet selbst den Teufel nicht. Dagegen muß man aber auch in vieler andern Hinsicht seine großen Eigenschaften bewundern. Seine admirable Herzens-Unempfindlichkeit und schon gepriesene, stets gute Laune, sein heroischer Egoismus, seine nicht zu erschütternde Selbstzufriedenheit, sein nie versiegender Witz und die konsommierte Schlauheit, mit der er aus jedem mauvais pas sich zu ziehen, und zuletzt als Sieger über alle Antagonisten zu triumphieren weiß, werfen einen glänzenden lustre über alle die kleinen Freiheiten, die er sich im übrigen mit dem menschlichen Leben herauszunehmen pflegt. Man hat in ihm eine Verschmelzung von Richard III. und Falstaff nicht ganz mit Unrecht gefunden. In seiner Erscheinung vereinigt er auch die krummen Beine und den doppelten Höcker Richards mit der angehenden Beleibtheit Falstaffs, zu welcher noch die italienische lange Nase und die feuersprühenden schwarzen Augen sich gesellen. Seine Behausung ist ein auf vier Stangen gestellter Kasten mit gehörigen innern Dekorationen, ein Theater, das in wenigen Sekunden am beliebigen Orte aufgeschlagen wird, und dessen über die Stangen herabgelassene Draperie Punchs Seele verbirgt, die seine Puppe handhabt, und ihr die nötigen Worte leiht. Dieses Schauspiel, in dem er täglich, wie gesagt, in der Straße auftritt, variiert daher auch nach dem jedesmaligen Talente dessen, der Punch dem Publikum verdolmetscht, doch ist der Verlauf desselben im wesentlichen sich gleich, und ohngefähr folgender: Sowie der Vorhang aufrollt, hört man hinter der Szene Punch das französische Liedchen ›Marlborough s'en va-t-en guerre‹ trällern, worauf er selbst tanzend und guter Dinge erscheint, und in drolligen Versen die Zuschauer benachrichtigt, wes Geistes Kind er sei. Er nennt sich einen muntern, lustigen Kerl, der gern Spaß mache, aber nicht viel von andern verstehe, und wenn er ja sanft werde, ihm dies nur vis-à-vis des schönen Geschlechts arriviere. Sein Geld vertue er frank und frei, und seine Absicht sei überhaupt,... 

Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen

Wir Deutsche, die wir von unserem Kasperle nur das Tri, tra, trullala kennen, entdecken bei Punch zwar den großen Knüppel und den Holzkopf wieder, doch das deftige Erbe der Shakespearezeit ist von Gottsched mit dem Hanswurst offenbar nicht nur von der Theater, sondern auch von der Puppenbühne vertrieben worden. Jedenfalls ist Pückler-Muskau schon 1826 aufgefallen, wie stark der Geschmack des Publikums der Ränge damals außerhalb der italienischen Oper noch das Theatergeschehen prägte:

Was den Fremden in den hiesigen Theatern gewiß am meisten auffallen muß, ist die unerhörte Rohheit und Ungezogenheit des Publikums, weshalb auch, außer der italienischen Oper, wo sich nur die höchste und bessere Gesellschaft vereinigt, diese Klasse nur höchst selten und einzeln die Nationaltheater besucht, ein Umstand, von dem es noch zweifelhaft sein möchte, ob er gut oder nachteilig auf die Bühne selbst wirkt. Englische Freiheit also artet hier in die gemeinste Lizenz aus, und es ist nichts Seltenes, mitten in der ergreifendsten Stelle einer Tragödie, oder während dem reizendsten cadence der Sängerin, mit Stentorstimme eine Zote ausrufen zu hören, der, nach Stimmung der Umstehenden, in der Galerie und obern Logen, entweder Gelächter und Beifallsgeschrei, oder eine Prügelei und Herauswerfen des Beleidigers folgt. In jedem der beiden Fälle hört man aber lange nichts mehr vom Theater, wo Schauspieler und Sänger sich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen keineswegs unterbrechen lassen, sondern comme si de rien n'était ruhig fortdeklamieren, oder mit der Stimme wirbeln. Und solches fällt nicht einmal, nein zwanzigmal während einer Vorstellung vor, und belustigt manche mehr als diese. [...]

Ich fand Mozarts ›Figaro‹ im Drury Lane angekündigt, und freute mich, die süßen, vaterländischen Töne wieder zu hören, ward aber nicht wenig von der unerhörten Behandlung überrascht, die des unsterblichen Komponisten meisterhaftes Werk hier erfahren mußte. Du wirst es mir gewiß kaum glauben wollen, daß weder der Graf, noch die Gräfin, noch Figaro sangen, sondern diese Rollen von bloßen Schauspielern gegeben, und die Hauptarien derselben, mit einiger Veränderung der Worte, von den übrigen Sängern vorgetragen wurden, wozu der Gärtner noch eingelegte englische Volkslieder zum besten gab, die sich zu Mozarts Musik ohngefähr wie ein Pechpflaster auf dem Gesichte der Venus ausnahmen. Die ganze Oper war überdies von einem Herrn Bischoff (was ich auch auf der affiche bemerkt sah, und zuerst gar nicht verstand) ›arrangiert‹, d.h. englischen Ohren durch die abgeschmackten Abänderungen gerechter gemacht. Die englische National-Musik, deren plumpe Melodien man keinen Augenblick verkennen kann, hat, für mich wenigstens, etwas ganz ausnehmend Widriges – einen Ausdruck brutaler Gefühle in Schmerz und Lust, der sich von rostbeef, plum-pudding und Porter ressentiert. Du kannst Dir also denken, welchen angenehmen Effekt diese Verschmelzung mit den lieblichen Kompositionen Mozarts hervorbringen mußte. Je n'y pouvais tenir, der arme Mozart kam mir vor wie ein Märtyrer auf dem Kreuze, und ich selbst litt nicht weniger dabei.

Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen

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