22 Juli 2014

Insel Felsenburg: Zeichen von fremdem Leben auf der Insel

Allein ich habe Zeit meines Lebens keine ängstlichere Nacht als diese gehabt. Denn etwa um Mitternacht, da ich selbst nicht wußte ob ich schlief oder wachte, erschien mir ein langer Mann, dessen weißer Bart fast bis auf die Knie reichte, mit einem langen Kleide von rauchen Tierhäuten angetan, der auch dergleichen Mütze auf dem Haupte, in der Hand aber eine große Lampe mit vier Dachten hatte, dergleichen zuweilen in den Schiffslaternen zu brennen pflegen. Dieses Schreckensbild trat gleich unten zu meinen Füßen, und hielt mir folgenden Sermon, von welchen ich noch bis diese Stunde, wie ich glaube, kein Wort vergessen habe: ›Verwegner Jüngling! was wilstu dich unterstehen diejenige Wohnung zu verschütten, woran ich viele Jahre gearbeitet, ehe sie zu meiner Bequemlichkeit gut genung war. Meinestu etwa das Verhängnis habe dich von ohngefähr in den Graben gestoßen, und vor die Tür meiner Höhle geführet? Nein keineswegs! Denn weil ich mit meinen Händen acht Personen auf dieser Insul aus christlicher Liebe begraben habe, so bistu auserkoren meinem vermoderten Körper eben dergleichen Liebesdienst zu erweisen. Schreite derowegen ohne alle Bekümmernis gleich morgenden Tages zur Sache, und durchsuche diejenige Höhle ohne Scheu, welche du gestern mit Grausen verlassen hast, woferne dir anders deine zeitliche Glückseligkeit lieb ist. Wisse auch, daß der Himmel etwas Besonderes mit dir vorhat. Deine Glückseligkeit aber wird sich nicht eher anheben, bis du zwei besondere Unglücksfälle erlitten, und diesem deinen Schlafgesellen, zur bestimmten Zeit den Lohn seiner Sünden gegeben hast. Merke wohl was ich dir gesagt habe, erfülle mein Begehren, und empfange dieses Zeichen, um zu wissen, daß du nicht geträumt hast.‹ [...]
Ankommender Freund! wer du auch bist Wenn dich vielleicht das wunderliche Schicksal in diese wunderbare Behausung wunderbarerweise führen wird, so erstaune nicht allzusehr über die unvermutete Erblickung meines Gerippes, sondern gedenke, daß du nach dem Fall der ersten Eltern eben dem Schicksal, und eben der Sterblichkeit unterworfen bist. Im übrigen laß das Überbleibsel meines Leibes nicht unbegraben liegen, denn weil ich gestorben bin, habe ich mich Verstorbenen nicht selbst begraben können. Einen Christen wo du anders ein Christ, oder zum wenigsten ein Mensch bist, stehet zu einen Christen ehrlich zur Erde zu bestatten, Da ich mich in meinem ganzen Leben bestrebt, daß ich an Christum gläubte, Christo lebte, und endlich Christo stürbe. Du wirst vor deine geringe Arbeit eine große Belohnung erhalten. Denn wenn dir das Glücke, dasjenige, was es mir seit vielen Jahren her verweigert hat, widerfahren lässet, nämlich, daß du dich wieder zu der abgesonderten Gesellschaft der Menschen gesellen könntest; So wirstu dir eine kostbare Belohnung zu versprechen, und dieselbe aus dieser Höhle mit hinwegzunehmen haben. Wenn du aber so, wie ich, gezwungen bist, in dieser Einsamkeit als ein Einsiedler dem Tode entgegenzusehen; so werden doch einige merkwürdige Schriften, die in meinem in Stein gehauenen Sessel verborgen liegen, dir vielleicht erfreulich und nützlich sein. Wohlan! Nimm dieselben mit dankbaren Herzen an, der gütige Himmel mache dich beglückt, und zwar glücklicher als mich, wiewohl ich mich niemals vor recht unglücklich geschätzt habe. Lebe wohl ankommender Freund! Lebe wohl, höre meine Bitte, begrabe mich, Und glaube, daß Gott, welchem ich gedienet, geben wird: Daß du wohl lebest. Die Zeilen auf der kleinen Tafel, bedeuten in teutscher Sprache soviel: Ich bin geboren den 9. Aug. 1475. Auf diese Insul gekommen, den 14. Nov. 1514. Ich empfinde, daß ich altershalber in kurzer Zeit sterben werde, ohngeacht ich weder Krankheit noch einige Schmerzen empfinde. Dieses habe ich geschrieben am 27. Jun. 1606. Ich lebe zwar noch, bin aber dem Tode sehr nahe, d. 28. 29. und 30. Jun. und noch d. 1. Jul. 2. 3. 4. [...]

(vollständiger Text)

Keine Kommentare: