22 Juli 2014

Der Stechlin und sächsische Schuhzwecken

Ob Fontane im Leben wirklich das Plaudertalent leichter geistvoller Unterhaltung hatte, kann man dahingestellt sein lassen; seine Figuren haben es gewiss, und er versteht es, sich als Erzähler dazu in leichte ironische Distanz zu setzen. So wie im Stechlin, wo Hauptmann Czako vom Regiment Alexander auf die "pummelige" Stiftsdame von  Schmargendorf trifft.

»Wie glücklich ich bin, Herr Hauptmann«, sagte die Schmargendorf, »Ihre Partnerin zu sein, jetzt schon hier und dann später bei Tisch.«
Czako verneigte sich.
»Und merkwürdig«, fuhr sie fort, »daß gerade das Regiment Alexander immer so vergnügte Herren hat; einen Namensvetter von Ihnen, oder vielleicht war es auch Ihr älterer Herr Bruder, den hab ich noch von einer Einquartierung in der Priegnitz her ganz deutlich in Erinnerung, trotzdem es schon an die zwanzig Jahre ist oder mehr. Denn ich war damals noch blutjung und tanzte mit Ihrem Herrn Vetter einen richtigen Radowa, der um jene Zeit noch in Mode war, aber schon nicht mehr so recht. Und ich hab auch noch den Namenszug und einen kleinen Vers von ihm in meinem Album. ›Jegor von Baczko, Secondelieutenant im Regiment Alexander.‹ Ja, Herr von Baczko, so kommt man wieder zusammen. Oder doch wenigstens mit einem Herren gleichen Namens.«
Czako schwieg und nickte nur, weil er Richtigstellungen überhaupt nicht liebte; Woldemar aber, der jedes Wort gehört und in bezug auf solche Dinge kleinlicher als sein Freund, der Hauptmann, dachte, wollte durchaus Remedur schaffen und bat, das Fräulein darauf aufmerksam machen zu dürfen, daß der Herr, der den Vorzug habe, sie zu führen, nicht ein Herr von Baczko, sondern ein Herr von Czako sei.
Die kleine Rundliche geriet in eine momentane Verlegenheit, Czako selbst aber kam ihr mit großer Courtoisie zu Hilfe.
»Lieber Stechlin«, begann er, »ich beschwöre Sie um sechsundsechzig Schock sächsische Schuhzwecken, kommen Sie doch nicht mit solchen Kleinigkeiten, die man jetzt, glaub ich, Velleitäten nennt. Wenigstens habe ich das Wort immer so übersetzt.[92]
Czako, Baczko, Baczko, Czako – wie kann man davon soviel Aufhebens machen. Name, wie Sie wissen, ist Schall und Rauch, siehe Goethe, und Sie werden sich doch nicht in Widerspruch mit dem bringen wollen. Dazu reicht es denn doch am Ende nicht aus.«
»Hihi.«
»Außerdem, ein Mann wie Sie, der es trotz seines Liberalismus fertigbringt, immer seinen Adel bis wenigstens dritten Kreuzzug zurückzuführen, ein Mann wie Sie sollte mir doch diese kleine Verwechslung ehrlich gönnen. Denn dieser mir in den Schoß gefallene ›Baczko‹... Gott sei Dank, daß auch unsereinem noch was in den Schoß fallen kann...«
»Hihi.«
»Denn dieser mir in den Schoß gefallene Baczko ist doch einfach eine Rang- und Standeserhöhung, ein richtiges Avancement. Die Baczkos reichen mindestens bis Hus oder Ziska und, wenn es vielleicht Ungarn sind, bis auf die Hunyadis zurück, während der erste wirkliche Czako noch keine zweihundert Jahre alt ist. Und von diesem ersten wirklichen Czako stammen wir doch natürlich ab. Erwägen Sie, bevor es nicht einen wirklichen Czako gab, also einen steifen grauen Filzhut, mit Leder oder Blech beschlagen, eher kann es auch keinen ›von Czako‹ gegeben haben; der Adel schreibt sich immer von solchen Dingen seiner Umgebung oder seines Metiers oder seiner Beschäftigung her. Wenn ich wirklich noch mal Lust verspüren sollte, mich standesgemäß zu verheiraten, so scheitre ich vielleicht an der Jugendlichkeit meines Adels und werde mich dann dieser Stunde wehmütig freundlich erinnern, die mich, wenn auch nur durch eine Namensverwechslung, auf einen kurzen Augenblick zu erhöhen trachtete.«
Theodor Fontane: Der Stechin, Kloster Wuz

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