24 November 2013

Die Vorweihnachtszeit aus der Sicht eines Mannes

Wenn man das Urteil des Herrn Hummel als gemeingültig betrachten darf, ist leider auch den Männern, welche die Ehre eines Hauses zu vertreten haben, die Begeisterung dieser Wochen nicht vollständig entwickelt. 
»Glauben Sie mir, Gabriel,« sagte Herr Hummel an einem Dezemberabend, während er einem Jungen nachblickte, der mit Brummteufeln umging, »in dieser Zeit verliert der Mann seine Bedeutung; er ist nichts als Geldspind, in dem sich der Schlüsselbart vom Morgen bis zum Abend dreht. Die beste Frau wird unverschämt und phantastisch, alles Familienvertrauen schwindet, eines geht scheu an dem andern vorüber, die Hausordnung wird mit Füßen getreten, die Nachtruhe gewissenlos ruiniert; wenn gegessen werden soll, läuft die Frau auf den Markt, wenn die Lampe ausgelöscht werden soll, fängt die Tochter eine neue Stickerei an. Und ist die lange Not ausgestanden, dann soll man sich gar noch freuen über neue Schlafschuhe, welche einen Zoll zu klein sind, und bei denen man später die grobe Schusterrechnung zu bezahlen hat, und über eine Zigarrentasche von Perlen, die platt und hart ist wie eine gedörrte Flunder. Endlich zu allerletzt, nachdem man goldene Funken gespuckt hat wie eine Rakete, fordern die Fragen noch, daß man auch ihnen selbst durch eine Schenkung sein Gemüt erweist. Nun, die meinigen habe ich mir gezogen.« »Ich habe doch auch Sie selbst gesehen,« wandte Gabriel ein, »mit Paket und Schachtel unter dem Arm.« »Dies ist wahr,« versetzte Herr Hummel, »eine Schachtel ist unvermeidlich. Aber, Gabriel, das Denken habe ich mir abgeschafft. Denn das war das Niederträchtige bei der Geschichte. Ich gehe jedes Jahr zu derselben Putzmacherin und sage: ›eine Haube für Madame Hummel.‹ Und die Person sagt: ›zu dienen, Herr Hummel,‹ und die Architektur steht reisefertig vor mir. Ich gehe ferner jedes Jahr zu demselben Kaufmann und sage: ›ein Kleid für meine Tochter Laura, so und so teuer, ein Taler Spielraum nach oben und unten,‹ und das Kleid liegt preiswürdig vor mir. Im Vertrauen, ich habe den Verdacht, daß die Frauen hinter meine Schliche gekommen sind und sich die Sachen vorher selbst aussuchen, denn es ist immer alles sehr nach ihrem Geschmack, während in früheren Jahren Widersetzlichkeit stattfand. Jetzt haben sie die Mühe, den Plunder auszuwählen, und am Abend müssen sie noch heucheln wie die Katzen, auseinanderfalten und anprobieren, sich erstaunt stellen und mein ausgezeichnetes Geschick loben. Das ist meine einzige Genugtuung bei dem ganzen Kindervergnügen. Aber sie ist dürftig, Gabriel.«

Gustav Freytag: Die verlorene Handschrift

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