25 September 2013

Viktor und die Fürstin

Viktor, in Sorge, sie verschiebe die Binde, zieht die Rechte ab von der Wand, und die Linke vom Bette, um, auf den Zehen schwebend, ohne Bestreifen sich aus diesem Zauberhimmel herauszubeugen. – – Zu spät! – Das Band ist herab von ihren Augen – vielleicht war sein Seufzer zu nahe gewesen oder sein Schweigen zu lange. – Und die enthüllten Augen finden über sich einen begeisterten, in Liebe zerronnenen, im Anfange einer Umarmung schwebenden Jüngling.... Erstarrt hing er in der versteinerten Lage – ihre von Schmerzen entbrannten Augen überquollen schnell vom mildern Lichte der Liebe – sie sagte heiß und leise: »comment?« – Und gelähmt zur Entschuldigung, bebend, sinkend, glühend, sterbend fällt er auf die heißen Lippen nieder und auf den schlagenden Busen. – Er schloß seine Augen vor Entzückung und vor Bestürzung zu, und blind und liebestrunken und kühn und bange wuchs er mit seinen trinkenden Lippen an ihre an.... als plötzlich in sein auf jeden kommenden Laut gespanntes Ohr der Nachtwächter-Ausruf der zwölften Stunde fuhr – und als Agnola wie mit einer fremden hereindringenden Hand ihn abstemmte, um eine blutige Hemdnadel wegzuwerfen – – Wie ein Weltgericht in Nachtwolken schmetterte des Wächters einfache Ermahnung, an den Tod und an die zwölfte Geisterstunde dieses Mitternachtlebens zu denken, in seine Ohren, vor denen die Blutströme des Herzens vorüberbrausten – Der Ruf auf der Gasse schien von Emanuel zu kommen und zu sagen: »Horion! Beflecke deine Seele nicht und falle nicht ab von deinem Emanuel und von dir! Schau an die Leinwand über ihrem kranken Auge, als verhüllte es der Tod – und sinke nicht!« »Ich sinke nicht!« sagte sein ganzes Herz: er wand sich mit ehrerbietigem Schonen aus den pulsierenden Armen und fiel, erstarrend vor der Möglichkeit einer Nachahmung des elenden Matthieu, den er so verachtet hatte, außerhalb des Bettes an ihrer hinausgenommenen Hand mit vorströmenden Tränen nieder und sagte: »Vergeben Sie dem Jüngling – seinem überwältigten Herzen – seinen geblendeten Augen – – ich verdiene alle Strafen, jede ist mir eine Vergebung – aber ich habe niemand vergessen als mich.« – – »Mais c'est moi que j'oublie en Vous pardonnant«[Fußnote: Aber ich vergesse hingegen mich, wenn ich verzeihe. ], sagte sie mit einem zweideutigen Auge, und er stand auf und suchte sich, da ihm ihre Antwort die Wahl zwischen der angenehmsten und der demütigsten Auslegung anbot, gern selber mit der letzten heim – Agnolas Auge blitzte vor Liebe – dann vor Zorn – dann vor Liebe – dann schloß sie es – er trat in die ehrerbietigste Entfernung zurück – sie öffnete es wieder und kehrte ihr Gesicht kalt gegen die Wand und gab durch einen geheimen Druck an die Wand, der, glaub' ich, eine eigene Klingel im Zimmer der Kammerfrau regierte, der letzten den Befehl zu eilen – und in einigen Minuten kam diese mit der Augen-Gurt. Natürlicherweise spielte man (wie im Leben des Menschen) den fünften Akt so hinaus, als wäre der dritte und vierte gar nicht dagewesen. – Dann zog er höflich ab.
(Jean Paul: Hesperus, 3. Heftlein, 27. Hundsposttag)

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