08 Mai 2013

Wie Wald sich erneuert (Stifter)

Es geht um einen "Holzschlag", wo innerhalb eines Waldes alle Bäume abgehauen worden sind.


 Wenn die Halde leer dasteht, wenn sie nur mehr manchen schlechten stehengelassenen Baum wie eine Rute gekrümmt trägt, wenn die bloßgelegten Kräuter und Gesträuche des Waldes zerrüttet und welkend herum hängen, wenn mancher nicht ganz verbrannte Reisighaufen im Verwittern begriffen, und ein anderer in den Boden getreten und verkohlt ist: dann steht die einsame, verlassene Bevölkerung von Strünken dahin, und es schaut der blaue Himmel und schauen die Wolken auf das offene Erdreich herein, das sie so viele Jahre nicht zu sehen bekommen haben. – 
 Das erste, was nach langen Zeiten herbei kömmt, um die umgewandelte Stätte zu besetzen, ist die kleine Erdbeere mit den kurzen, zurück geschobenen Blättern. Sie sproßt zuerst auf der schwarzen Erde einzeln hervor, siedelt sich dann um Steine und liegen gebliebene Blöcke an, überranket fleißig den Boden, bis nichts mehr zu sehen ist, und erfreut sich so sehr der Verlassenheit und der Hitze um die alten sich abschälenden Stöcke herum, daß es oft nicht anders ist, als wäre über ganze Flecke ein brennendes, scharlachrotes Tuch ausgebreitet worden. Wenn es so ist, dann sammelt sich allgemach unter ihren Blättern die Nässe, und es erscheint auch schon die größere, langstielige Erdbeere mit den gestreckten Blättern und den schlanken Früchten. Es beeilt sich die Himbeere, die Einbeere kömmt, manche seltsame, fremdäugige Blume, Gräser, Gestrippe und breite Blätter von Kräutern; dann die Eidechse, die Käfer, Falter und summende Fliegen; mancher Schaft schießt empor mit den jungen feuchtgrünen Blättern; es wird ein neuer, rauher, hochrutiger Anflug, der unter sich einen nassen, sumpfigen Boden hat, und endlich nach Jahren ist wieder die Pracht des Waldes.
Dies ist der zweite Teil des Lebens eines Holzschlages.

Adalbert Stifter: Der beschriebene Tännling. Der bunte Schlag, S.657/658

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