24 Januar 2013

Mai 1849 in Dresden


Schlaglichter vom Dresdner Maiaufstand
Ihre Wohnung lag hinter der Schlesischen Eisenbahn im Schutze des Bergrückens, der das Waldschlößchen trägt. Die Neustadt war voll sächsischer Truppen, Preußen wurden mit der Bahn von Berlin erwartet: um Sachsen vor dem Zwange des preußischen Erbkaiserthums durch das Volk zu schützen. Die königliche Familie flüchtete am Morgen desselben Tages, an welchem Minna nach Neustadt übersiedelte, auf einem Dampfschiffe nach Königstein, was in der Stadt den übelsten Eindruck machte. Das Volk, welches nach Einheit und Reichsverfassung schrie, wußte nicht, was es wollte; daß es dem Russen Bakunin, welcher Tzschirner bald die Zügel aus der Hand nahm, und seinen nähern Freunden um diese wenig zu thun war, darüber konnte niemand im Zweifel sein, der den Dingen nur einigermaßen näher stand, und das hatte Hellung denn auch bewogen, seine Frau und Kinder über die Elbe zu senden. [...]

Nun denke Dich in meine Lage! Mein Mann war auf dem Rathhause, ich war mit den Kindern und Dienstboten ganz allein in der großen zweiten Etage, die erste Etage steht leer, und nun begann das Geheul der Sturmglocken, das Wirbeln der Trommeln, Hörnersignale, ein unbeschreiblicher Menschenlärm von der vom Gewandhause und dem Altmarkt durch unsere Schießgasse ziehenden Menge. Dazu kam sehr bald das Knattern der Gewehrsalven, das Krachen von Kartätschenschüssen, das Geschrei der Männer, das Gepolter beim Aufrichten von Barrikaden. Bald war in unserer Etage keine Sicherheit mehr, Flintenkugeln schlugen durch die Fenster, zertrümmerten Möbeln, Spiegel, Vasen, Bilder. Durch das Bild des Vaters meines Mannes, das seine beiden zuwanischen Frauen und den kleinen Ibrahim vor einem Springbrunnen darstellt, das Dich so sehr entzückte, hat eine Flintenkugel der Mirza beide Beine weggeschossen. Ich mußte mit den Kindern in die Mansardenzimmer flüchten, nachdem wir die Fenster unserer Wohnung, so gut es gehen wollte, mit Betten, Laken, Matratzen verstopft hatten. Und nun die Kinder! dieses Heulen und Schreien wegen des nicht endigen wollenden Schießens und Sturmläutens! Als es Nacht wurde und das Feuer ruhte, die Kinder endlich in den sichern Bodenkammern zur Ruhe gebracht waren und schliefen, kam der gute Vetter Moritz; er stand bei der Turnerschar und hatte sich durch den Botanischen Garten in unser Haus eingeschlichen. Er berichtete, daß soeben die tharander Bürgerwehr eingezogen, ebenso zahlreiche Bewaffnete von Wilsdruff, aus dem Plauenschen Grunde und von Loschwitz angekommen seien, und half dann die Papiere meines Mannes ordnen und in den Keller schaffen, unsere Werthsachen und Werthpapiere in Koffer packen, die Fenster noch vorsichtiger gegen Kugeln verwahren. Heute morgen erhielt ich ein Billet meines Mannes, der mir rieth, sobald wie möglich zu Frau von F. überzusiedeln, die in einem reizenden Versteck hinter dem Lincke'schen Bade und der Prießnitz östlich der Antonstadt wohnt. Du mußt Dich des freundlichen Landhauses noch erinnern, das wir eines Nachmittags besuchten, wo wir am Abend mit Vetter Moritz und andern Freunden ein Rendezvous auf dem Waldschlößchen uns zu geben versprochen hatten. Du erinnerst Dich gewiß der Scenerie, wenn Du Dir den großen Garten ins Gedächtniß zurückrufst, der von drei Seiten mit einer hohen Steinmauer eingefaßt war und nach vorn, nach der Zittauer Straße zu, eine eiserne Einfassung hatte. Weist Du noch, wir stiegen, nachdem wir durch eine Thür des Gartens in einen Weinberg gelangt waren, mehrere Terrassen hinan und ruhten oben auf einem von Kirschbäumen bekränzten Plateau, uns an den herrlichen Früchten und der reizenden Aussicht auf Neustadt, die Elbe, die Brühl'sche Terrasse, das Lincke'sche Bad und Siegels Restauration zu unsern Füßen zugleich labend. Hier ist es so ruhig wie in einem Kloster, wenn aus Altstadt nicht Gewehr- oder Kartätschenfeuer herüberschallt; die Kinder spielen in den gelben Sandwegen, das jüngste, der Revolutionär, ist auf den Armen seiner Amme in der Fliederlaube eingeschlafen. Ich sitze im Gartenpavillon, und da ich hier Schreibzeug gefunden, ist mir eingefallen, meine innere Unruhe dadurch zu bewältigen, daß ich an Dich schreibe. Die gute Baronin ist heute, trotzdem daß seit Morgen das Schießen drüben nicht aufhört, zum zweiten mal nach meiner Wohnung gefahren, um für mich und die Kinder das Nöthigste an Kleidungsstücken und Wäsche, die wir bei der Eile vergessen, zu holen. Sie läßt ihren Wagen dann auf dem Lincke'schen Bade, fährt hinüber, nimmt bei Elisensruhe den Wagen des Wirths und fährt durch den Ziegelschlag in die Stadt, dann muß sie aber, da die übrigen Straßen durch Barrikaden versperrt sind, durch die Amaliengasse über den Pirnaischen Platz. in die Schießgasse gelangen, da dicht vor unserm Hause eine Barrikade gebaut ist, welche das Klinische Institut in Verlängerung der Gasse gegen das Zeughaus deckt. Frau von F. ist glücklich von ihrer zweiten Expedition abends angekommen. Tzschirner, Heubner,...[...]

Sonnabend, 5. Mai abends.
Ach, liebe Schwester, welch ein gräßlicher Tag! wie glücklich seid Ihr in Euerer von der Welt abgelegenen Wüstenei! Welche Seelenangst habe ich von früh an ausgestanden! Gestern Abend spät bekamen wir noch Einquartierung, das Füsilierbataillon des preußischen Garderegiments Alexander war eingetroffen und wurde in die Straßen diesseit des Neustädter Kirchhofs bis hinauf in das Waldschlößchen einquartiert. Die Baronin erhielt einen Lieutenant und sechs Mann, anständige Menschen, aber ich hörte eine halbe Compagnie in die Radeberger Gasse hineinziehen, welche sangen: »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!« und sehr betrunken zu sein schienen. Morgen sollen noch viel mehr Preußen kommen. Ach, mein Gott, welches Blut wird da fließen, wie viel unschuldiges! Könnte der König die Reichsverfassung nicht lieber annehmen? Wenn Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone nicht annimmt, wird ja doch nichts daraus. Ueber wen kommt das vergossene Blut?! [...]

Sonntag, 6. Mai morgens sechs Uhr.
Seit morgens vier Uhr heulen die Sturmglocken, donnern die Kanonen. O es ist furchtbar! Es war nicht möglich, im Bett zu bleiben. Unsere Einquartierung sind wir los, aber die Communication mit der Altstadt hat gänzlich aufgehört. Die Dienstboten, der Gärtner, die Leute der Nachbarschaft bringen mit den nöthigen Lebensmitteln, die aber, was das Fleisch anbetrifft, schon sparsam zu werden anfangen, stündlich neue Nachrichten. Frankreich soll Preußen den Krieg erklärt haben; eine Reichsarmee sei auf dem Marsche nach Dresden, dreitausend Hanauer seien schon in Tharand, unser alter König in Hannover sei erhängt, das Schloß sei durch Bergleute unterminirt und solle noch heute, spätestens in der Nacht, in die Luft gesprengt werden!   Um zehn Uhr morgens. Ich komme mit der Baronin soeben von dem Kirschenwäldchen, seit sieben Uhr schlagen schwarze Dampfwolken und hohe Feuersäulen über das Schloß und die Schloßkirche empor. Nach dem, was wir durch Gläser oben ermitteln konnten, muß das Prinzenpalais, oder das alte Opernhaus oder ein Theil der Zwingerpavillons brennen. Das Schloß, soweit es der Elbe zugewendet ist, die Schloßkirche und das Theater sind es nicht, diese Gebäude konnten wir deutlich erkennen. Es wird soeben eine Proclamation der Minister Beust und Rabenhorst, welche im Blockhause in Neustadt einquartiert sind, durch das Gartenthor geworfen, in welcher an den Bestand der Regierung des Königs erinnert wird und die Mitglieder der provisorischen Regierung als »Hochverräther« bezeichnet werden. Als wir die Terrasse schon verlassen wollten, sahen wir ein neu angekommenes preußisches Regiment mit fliegenden Fahnen über die Elbbrücke ziehen.  

Montag, 7. Mai abends.
Das Schießen dauert fort, Tag und Nacht. Von Theodor noch immer keine Nachricht. Die Baronin hat sich vergeblich bemüht, im Blockhause Erkundigungen einzuziehen, die Minister wissen selbst nicht, wie es in den Stadttheilen jenseit der Brüderstraße aussieht. Das Opernhaus, das alte, ist abgebrannt, ein Pavillonzwinger brennt noch.   Dienstag, 8. Mai. Der gräßlichste Tag heute! Meine Köchin, die aus Altstadt gebürtig und deren Vater unter der Communalgarde ist, während der Bruder unter dem Turnercorps steht, hatte sich heute Morgen bis zum Japanischen Palais hinabgewagt, um dort vielleicht etwas aus der Stadt zu vernehmen. Sie kam laut heulend zurück, die Dienstboten steckten die Köpfe zusammen, man flüsterte leise. Die Baronin, die noch keinen Augenblick die Ruhe verloren, kam mir ganz verändert vor, ich merkte, man suche mir etwas zu verheimlichen. War meinem Manne ein Unglück widerfahren? Ich drang darauf, daß mir die Wahrheit mitgetheilt, daß mir das Schrecklichste nicht verhehlt werde. Die Baronin kam denn auch endlich damit heraus, daß die Köchin erzählt habe, von einer Bekannten, die es aus dem Garten des Brauhauses in der Neustadt selbst gesehen haben wollte, wie unser guter Herr, mein Theodor nämlich, auf dem neuerbauten Elbbrückenpfeiler von einem preußischen Soldaten mit dem Bajonnet erstochen und in die Elbe geschleudert sei. Ich wußte, daß das nicht wahr sei; in der unendlichen Anspannung, in der sich alle meine Nerven befinden, hätte eine Ahnung mir gesagt, wenn Theodor ein Unglück begegnet wäre. Wie sollte er außerdem durch die Menge der Feinde auf die Elbbrücke kommen? Außerdem halte ich es für unmöglich, daß vom Garten des Brauhauses ab das schärfste Auge einen Menschen, der auf dem vor zwei Jahren neuerbauten Pfeiler steht, erkennen kann. Die Baronin ist ein Engel, sie sorgt für mich und die Kleinen, als wäre ich ihr Kind.   Mittwoch, 9. Mai mittags. Gottlob, der Kampf ist vorbei! Von zwei Uhr nachts begann das Schießen. Die Preußen haben die große Barrikade vor der Wilsdruffer Gasse und den Eingang zum Wilsdruffer Platze erobert, die Barrikadenkämpfer, Bergleute, Turner, die aus andern Orten Zugezogenen, haben sich durch den Freiberger Schlag und auf der Straße nach Chemnitz zurückgezogen. Es sollen unerhörte Grausamkeiten vorgekommen... [...]

Sonnabend, 12. Mai.
Gestern war ich in Altstadt. Welche Verwüstungen! Das alte Opernhaus, zwei Zwingerpavillons, drei Häuser der Zwingerstraße sind gänzlich niedergebrannt. Leerstehende Fensterlöcher, Mauern von Hunderten von Flintenkugeln und Kartätschenkugeln durchlöchert, herausgeschossene Quadern, zerschossene Fenstersäulen, zerschossene Dächer, die Straßen voll Dachziegel, zersplitterte Läden und Magazine, aufgerissenes Pflaster, gefällte Bäume, Reste von Barrikaden, das sind Anblicke, die sich überall darbieten, wo der Kampf wüthete. Auch unsere Wohnung ist stark beschossen und beinahe kein Fenster heil geblieben. Bisher ist es Ibrahim noch nicht möglich gewesen, einen Glaser und andere Arbeiter zur Herstellung aufzutreiben. Sobald reparirt ist, ziehe ich in meine Wohnung zurück, um meinem Manne näher zu sein. Die Juristen miströsten mich, wenn ich mir Hoffnung mache auf Freilassung nach einigen Tagen, – er ist wegen Hochverraths in Untersuchung, und da alles festzustellen, dazu gehörten Wochen und Monate, sagen sie. Morgen soll die Bahn nach Leipzig wieder ihre täglichen Dienste thun, da will ich diesen Brief abschicken, den Du der Mutter mit herzlichen Grüßen nach Eckernhausen überbringen willst. [...]

Waren es denn aber nur einzelne wenige, welche so mit den wieder mächtig gewordenen Regierungen in Conflict geriethen über Principien, welche diese noch vor einem Jahre stillschweigend anerkannten, jetzt aber mit Festung und Zuchthaus bestraften? Nein, es waren Tausende aus allen Gegenden Deutschlands, jugendliche Schwärmer, die noch immer an die Omnipotenz des Frankfurter Parlaments glaubten, die noch immer wähnten, die einzelnen deutschen Fürsten, welche die Reichsverfassung nicht anerkennen wollten, die seien die Hochverräther, und das Volk sei berechtigt und verpflichtet, sie zu zwingen. Tausende und aber Tausende, darunter anerkannt tüchtige Juristen, Richter wie Advocaten, Professoren und Studenten, stützten sich auf den Wortlaut des Bundesbeschlusses vom 30. März in Gemäßheit der Interpretation des Vorparlaments, daß das Parlament einzig und allein befugt sei, die Reichsverfassung zu Stande zu bringen.

Heinrich Oppermann, Hundert Jahre, 8. Buch, 5. Kapitel

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