03 Januar 2013

Ernst Augusts Aufhebung der Hannoverschen Verfassung (1837)


"»Apropos«, sagte Detmold, »wenn Sie noch ein Viertelstunden Zeit übrighaben, bleiben Sie. Es wird heute das große längsterwartete Ereigniß erfolgen; das Patent, welches das Staatsgrundgesetz aufhebt, ist in der Druckerei und wird abends in der Hannoverschen Zeitung und der Gesetzsammlung publicirt, in spätestens einer halben Stunde erhalte ich einige Abzüge davon. Wir wollen uns in die Arbeit theilen, ich übernehme für heute die ›Augsburger‹ und den ›Courier‹, Sie können an die ›Börsen-Halle‹ und die Kölner berichten.. Heben Sie die crassesten Sätze heraus und widerlegen Sie solche so kurz und schlagend wie möglich. Morgen wollen wir tauschen, bis dahin können Sie Ihre Gedanken sammeln und sich im ›Deutschen Courier‹ mindestens ausführlicher aussprechen.«
»Ich warte natürlich«, sagte Bruno und stieß einen derben Fluch aus.
In diesem Augenblicke erschien ein Buchdruckerlehrling und überreichte Detmold eine verschlossene Mappe. Als derselbe sich entfernt hatte. schloß jener die Mappe mit einem eigenen Schlüssel auf und zog sechs Fahnen des Gesetzblattes heraus, von denen er eine sofort couvertirte an die Adresse eines obscuren Mannes, der aber Magistratsdiener in Osnabrück war und das Empfangene sofort an Stüve ablieferte. Bruno mußte die Adresse mehrmals schreiben, denn daß seit Ernst August's Ankunft das Briefgeheimniß zu existiren aufgehört habe, glaubte man wenigstens allgemein.
Bruno durchflog das Patent und begleitete einzelne Sätze mit Schimpfreden.
»Das hilft zu nichts«, sagte der Kleine, »gehen Sie nach Hause und seien Sie fleißig, daß die Abendpost Ihre Artikel mitnehmen kann. Abends kommen Sie mit Ihrem Onkel nach Wessel's Schenke, Rumann und andere Leute kommen auch, da wollen wir etwas öffentliche Meinung machen. Ich werde Sie Rumann vorstellen.«
Unser junger Freund eilte zu dem Onkel, der außerhalb der Stadt wohnte und der nach bürgerlicher Manier zu derselben Zeit wie seine Arbeiter das Mittagsessen einnahm, um zwölf, und ihn nun wegen seines Zuspätkommens auszankte, sich aber sofort besänftigte, als Baumann ihm die Neuigkeit des Patents mittheilte.
Friedrich Schulz war noch zorniger, als Baumann es gewesen. »Da soll ja dieses – – –«, sagte er, »das man zu meiner Zeit in London kaum werth achtete, es mit faulen Orangen zu werfen, ein Kreuzdonnerwetter holen. Das wagt er, uns Hannoveranern zu bieten? Meint er, wie 1810 von bestochenen Coroners bei der Leiche seines Kammerdieners, auch von der Weltgeschichte in Beziehung auf uns ein Verdict zu bekommen felo de se? Da wird er verdammt irregehen! Er soll hier erleben, was ein unabhängiger und selbständiger Bürgerstand vermag!«
Der Onkel erzählte nun die dem Neffen gänzlich unbekannte Mordgeschichte vom 31. Mai 1810 nach den Traditionen, welche die Bekannten von Sellis in Umlauf gesetzt hatten und die das Volk wenigstens glaubte.
Baumann hatte über das wichtigere vaterländische Ereigniß seinen persönlichen Kummer vergessen, er schrieb aber mit der Galle, die in sein Blut eingetreten war, zwei der bissigsten Artikel, die wol überhaupt gegen das Patent vom 1. November geschrieben sind, die er jedoch, als er sie später gedruckt zu Gesicht bekam, durch Selbstcensur der Redactionen und dann durch den Rothstift des Censors arg verstümmelt fand."
Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 6. Buch, (6. Kapitel)

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