28 Dezember 2012

Johann Hermann Detmold, Freund Heines und konservativer Reichsminister

"Detmold, der künftige Reichsminister, war damals außer Hannover noch wenig bekannt, er war ein Advocat ohne Praxis, weil ihm diese zuwider war, und lebte als Junggeselle im Hause seines Vaters, des Hofmedicus, in der Duvenstraße. Detmold hatte bisher nur die »Anleitung, in drei Stunden ein Kunstkenner zu werden« geschrieben, eine Satire auf einen privilegirten Kunstkenner und Galeriebesitzer. Aber der gesunde und kräftige Witz, der in dem kleinen Buche wehte, hatte ihn zu der ersten literarischen Notabilität in Hannover gemacht, und das Publikum wollte denn in den »Hannoverischen Kunstblättern« von Osterwald nur Recensionen Detmold's über das noch neue Institut der jährlichen Kunstausstellung lesen.
Er hatte ein Jahr in Düsseldorf in der dortigen Kunstwelt gelebt, da er selbst mit Talent und Fertigkeit zeichnete, und war erst vor einiger Zeit aus Paris zurückgekommen, wo er mit Heinrich Heine die freundschaftlichen Beziehungen von Göttingen fortsetzte und für das »Morgenblatt« und den »Pariser Kunstsalon« schrieb.
Wie es gekommen, daß er, der bisher nur Abneigung gegen die Politik gezeigt hatte, der sich einem künstlerischen Dilettantismus hingab, der nur mit hannoverischen Künstlern, wie Marschner, Osterwald, Reichmann, Andree lebte und am liebsten die geistreiche Unterhaltung in der »Kutsche«, die sich damals in »Lemförde« umtaufte, beherrschte, sich auf einmal auf die Politik warf und wirklicher Centralpunkt aller Opposition gegen den Umsturz des Staatsgrundgesetzes wurde, ist vielen unbegreiflich gewesen. Die ihn näher kannten, wissen aber, daß er, der, wie Buchholz sagte: »seinem Talente nach alles Mögliche, nur nicht sentimental oder Betbruder war«, von einem Ehrgeize sondergleichen gestachelt wurde. Die vertrauten Beziehungen zu dem Stadtdirector Rumann, der bisher in Hannover eine Art Nebenregierung neben dem Ministerium gehabt und einen großen Einfluß auf den Vicekönig Herzog von Cambridge ausgeübt hatte, nun aber von Ernst August brutal behandelt wurde, mochten auch wol mitgewirkt haben.
Detmold fand in dieser politischen Thätigkeit, namentlich den Intriguen, dem alle Fäden in der Handhaben, Heilung von dem großen Weltennui, das seine Altersgenossen, wie er selbst, angesteckt von Byron, bisher empfunden hatten. Detmold, obgleich er am Tage sein Parterrestübchen und seine beiden großen Kater selten verließ, wußte doch alles, was in Hannover passirte. Es war, obgleich er keine Geschäfte führte, bei ihm morgens von elf Uhr wie in einem Taubenschlage, jedermann von der Partei des Staatsgrundgesetzes brachte ihm Nachrichten, er erfuhr, was im Cabinet, was in Schelenburg, was in der Justizkanzlei und den Stadtgerichten in Beziehung auf öffentliche Zustände verhandelt war, er kannte in Hannover jedermann, den zu kennen überall der Mühe werth war, er hatte sich mit Stüve und den sämmtlichen bedeutenden und zuverlässigen Mitgliedern der Zweiten Kammer, von der man damals noch hoffte, daß sie bald wieder berufen würde, in Verbindung gesetzt, um eine geregelte Opposition anzubahnen. Detmold kannte die Menschen, aber nicht nur oberflächlich, nach Titel und Würden und nach dem Anscheine, den sie sich selbst geben, er kannte genau ihr Wissen und Können, ihre Bestrebungen und Verbindungen, ihre Schwächen und Fehler. Diese ungemeine Kenntniß der Personen und Dinge, bei sarkastischem Witz, machte ihn denn auch zu einem gesuchten Gesellschafter, um den sich gern ein Zuhörerkreis versammelte.
Der angehende Politiker kannte auch Baumann schon als einen talentvollen und strebsamen jungen Mann und behandelte ihn mit Zuvorkommenheit. Er theilte ihm über die Verhältnisse des Landes solche Anschauungen mit, von denen er wünschte, daß sie in öffentlichen Blättern verbreitet würden; er charakterisirte die bei dem beginnenden Drama mitwirkenden hauptsächlichen Persönlichkeiten, machte ihn auf diese und jene Schrift, aus der er sich über frühere hannoverische Zustände belehren könnte, aufmerksam und verabredete endlich Korrespondenz mit ihm."
Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 6. Buch, 4. Kapitel

Keine Kommentare: