28 November 2012

Schlaglichter auf eine Doppelhochzeit im 18. Jahrhundert


Hans Dummeier übergab vor der Menge und einem Gerichtshalter der Gräfin dem Schwiegersohn Claasing und seiner Tochter Anna seinen von der Gräfin Melusine relevirenden Meierhof – so war er in der vorher angefertigten Urkunde ausdrücklich benannt – sammt allem Zubehör, namentlich dem adelich freien Lande, welches seine Frau für ihre Dienste von der Gräfin erhalten hatte, sich eine Leibzucht für sich und seine Frau und eine Abfindung für den Sohn zweiter Ehe reservirend. Diese Leibzucht sollte nach einem Vertrage mit dem präsentirten Bräutigam der Tochter nicht aus dem Hofe selbst, sondern auf der Brinksitzerstelle des Claasing gegeben werden, und wurde dem Claasing vorbehalten, dem Sohne Dummeier's bei seiner demnächstigen Verheiratung entweder diese Brinksitzerstelle oder aber 2500 Thaler in Gold als Abfindung zu geben. Die Gutsherrschaft acceptirte den ihr präsentirten Bräutigam als meiertüchtig, genehmigte Altentheils- und Abfindungsverschreibung und händigte darauf dem neuen Hofwirthe und dessen Ehefrau eine zweite Urkunde aus, in welcher dieselben von seiten der gnädigen Gräfin wegen der Verdienste, so sich Anne Marie Dummeier um die gräfliche Familie erworben, als frei von allem gutsherrlichen Verbande, Gefällen und Diensten erklärt wurden. [...]
Nachdem der Prediger eine Pause gemacht und in ein weißes Batisttuch gehustet hatte, fuhr er in Gemäßheit der Lüneburgischen Kirchenordnung fort: »Geliebte in Christo, beide Braut und Bräutigam, damit ihr in euerm bestätigten Ehestande also leben möget, daß es Gott gefällig, euch und männiglich besser sein möge, so sollt ihr aus Gottes Wort vier Stücke hören, so Eheleuten zu wissen von nöthen sein. Zum ersten: Wer den Ehestand eingesetzt und verordnet habe, nämlich Gott selbst; denn also schreibt Moses in seinem ersten Buche, am zweiten Kapitel: Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, ich will ihm eine Gehülfin machen, die um ihn sei. Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen und er entschlief. Und nahm seiner Rippen eine und schloß die Stätte zu mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen darum, daß sie vom Manne genommen ist. Darum wird ein Mann seinen Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein Ein Fleisch. [...]
»Dieser da«, ruft Marthe, denn es ist unsere alte Bekannte aus der Zeit her, wo der Eisschlitten ausgebaut war – »ist vor Gott mein Mann; er hat mir die Ehe feierlichst gelobt, und ich trage sein Kind unter meinem Busen.« »Eine Wahnsinnige!« schreit die Gräfin. »Die Filler-Marthe!« »Die Filler-Marthe!« rufen eine Menge Weiber- und Kinderstimmen im Schiffe der Kirche. Die Hochzeitsgäste sind stumm und starr, nur weichen sie immer mehr aus der Nähe des Grafen Bräutigam. Claasing aber winkt einem Gestütsknechte, der unter den Leuten der Gräfin vor der Sakristeithür stand; dieser sprang auf Marthe zu und riß sie vom Grafen los. Die gräfliche Dienerschaft leistete ihm Hülfe gegen die wie unsinnig sich Geberdende, man zerrte dieselbe der Sakristei zu. Der Bürgermeister drängte sich heran. »Ins Loch mit der liederlichen Dirne!« sagte er, »schafft sie in das alte Schloßgefängniß.«
(Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 2. Buch, 6. Kapitel)

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