18 Juni 2012

"Halbblut" oder "Der schwarze Mustang"

Wenn es unter den positiven Romangestalten Karl Mays eine gibt, die den liebenswert aufschneiderischen Hadschi Halef Omar an Selbstüberschätzung noch übertrifft, so ist es Hobble-Frank. Seine Selbstüberschätzung bezieht sich freilich nicht auf seine Fähigkeiten als Westmann, ist er es doch, der seinem dafür höchst unzulänglich ausgerüsteten Körper die erstaunlichsten Glanzleistungen abringt. (So schlägt er, der Kleine, in einem Kampf auf Leben und Tod den besten Läufer des Indianerstamms, in dessen Gefangenschaft er geraten ist, ausgerechnet im Wettlauf.) Zusammen mit seinem Vetter, dem berühmten Westmann Tante Droll gelingt es ihm als wohl einzigen in allen Karl-May-Erzählungen das unübertreffliche Trio Old Shatterhand, Winnetou und Old Firehand, als alle drei gemeinsam in indianische Gefangenschaft geraten sind, zu retten. Nein, seine Selbstüberschätzung bezieht sich allein auf Bildungsfragen. Was er alles an abstrusen Verwechslungen produziert, hat ihm die Liebe der jugendlichen Karl-May-Leser eingetragen, zumal er sich dabei noch als unübertrefflicher Polyhistor aufspielt. Zwar ist er immer für geistreichen Blödsinn gut, doch die hübschsten - freilich auch die groteskesten Kapriolen schlägt er meiner Meinung nach doch im "Schwarzen Mustang", der aufgrund von Rechtsstreitigkeiten freilich schon bald in "Halbblut" umbenannt werden musste. 

 Hier zwei Beispiele:

 "So een Gimpel, dem noch die grünen Walnußschalen der neuesten Jahrzehnte hinter den Ohren hängen, will wissen, wie die alten Römer gesprochen haben! Portas! Das is ja gar keen römisch-irisches Wort, sondern jeder nur ganz sachte angebildete Mensch weeß, daß es anschtatt Portas Portière heeßen muß, und welchem alten Römer könnte es wohl eingefallen sein, zu rufen, daß Hannibal an der Portiere hänge! So eenen Unsinn hat sich niemals keen Römer nich zu Schulden kommen lassen. Als Peter der Große seinen Admiral Hannibal gegen die Römer ausgerüstet hatte, dampfte dieser schleunigst um das Kap der guten Hoffnung herum, überschtieg mitten im Winter das Kjölengebirge, wobei seine Kamele die Kanonen schleppen mußten, schlug zunächst bei Ligny die Scharen der Thessalonicher und Kolosser und hatte dann das ganze römische Reich zu seinen Füßen liegen. Zwar schickte ihm der Kaiser Herodot den Reitergeneral Holofernes entgegen, doch wurde dieser nicht weit vom Schipkapaß so in die Pfanne gehauen, daß er vor Todesangst die sizilianische Vesper singen ließ und in der nächsten Bartholomäusnacht an seinen Wunden schtarb. Nu gab es für die Römer nur een eenziges Mittel, sich zu retten: sie mußten dafür sorgen, daß dem Hannibal für seine Truppen die Nahrungsmittel fehlten. Sie brannten also Moskau hinter sich ab, verwüsteten die pontinischen Sümpfe und blieben dann beim Berge Ararat halten, um die Folgen der Zerschtörung abzuwarten. Aber sie mußten nur zu bald erkennen, daß sie sich in Hannibal verrechnet hatten. Er war nämlich so pfiffig gewesen, ooch für diesen Fall zu sorgen und hatte eene solche Menge von Proviant mitgenommen, daß an eene Hungersnot gar nich zu denken war. In Anbetracht der winterlichen Kälte hatte er sogar seinem Generalquartiermeister Phidias den Befehl erteilt, transportable Häuser aus Wellenblech und amerikanische Öfen mitzunehmen; die wurden offgeschlagen und teils als Wohn-, teils Wirtshäuser und Restaurationen eingerichtet. Das Heer des Hannibal lebte da herrlich und in Freuden; die Römer aber, als sie das hörten, sahen ein, daß sie verloren waren, und riefen erschrocken aus: ›Hannibal hat Boardinghäuser!‹ Denn daß dieses ad das germanische hat sein soll, das sieht jeder Deutsche ein, wenn er nich gerade off den sorbenwendischen Namen Timpe getooft worden is."

 "Er zog bei diesen Worten die Zöpfe der zwei chinesischen Gewehrdiebe aus der Tasche. »Hurra, die beeden Kang-Keng-King-Kongzöpfe! Die hatte ich beinahe ganz vergessen! Hurra, hurra, is das een großartiger schtylistischer Gedanke! Ich bin so erfreut und so entzückt, als ob heute mein diatonischer und kynologischer Geburtstag wäre! Dem Manne kann sofort geholfen werden, nämlich von dem Schopfe und zu den Zöpfen! Kommen Sie her, Herr Timpe Nummer eens und Timpe Nummer zwee! Ihr Name hat für mich zwar gar keenen schönen Karbol- und Klarinettenklang, aber bei so eener famosen Operation kann er mich doch nich schtören. Passen Sie off, Mesch'schurs und meine Herren, das große Werk kann beginnen. Der Vorhang geht in die Höhe, aber die Haare müssen runter! Ich schpiele den Barbier von Sevilla ohne Borschtenpinsel und Seefenschaum, und der Komantsche wird den ›geschundenen Raubritter geben. Beim erschten Offzug singe ich ihn an: ›Reich mir die Hand, mein Leben!‹ und hierauf trägt er die Gnadenarie aus ›Robert und Bertram‹ vor. Dann beginnt der Chor der Rachebrüder: ›Schab, Hobble, schab, der Schopf der muß herab!‹ Sodann fällt er ein: ›Leise, leise, lieber Frank, sonst wird meine Kopfhaut krank!‹ aus dem Freischütz, wenn ich mich nich irre oder wenn sich Weber nich geirrt hat. Am Schluß des erschten Aktes das Terzett: ›Mond, ich grüß dich tausendmal, der Komantsche is nu kahl!‹ Wenn kurze Zeit schpäter der Vorhang wieder in die Sofitten oder in die Lafetten gezogen wird, schtimme ich mit Harmoniumbegleitung an: ›Weint mit ihm des Schmerzes Thräne, fadendünne ist die Strähne!‹ worauf er ganz alleene mit dem Doppelquartett antwortet: ›Weil ich sonsten ohne Hut mich nich sehen lassen kann, lieber Hobble, sei so gut, bind mir die Chinesen dran!‹ Das thu' ich natürlich ooch, weil meine Rolle es so mit sich bringt, und wenn es geschehen is, fallen sämtliche Mitschpieler und Zuschauer mit dem ganzen Orschester in den Lobgesang ein: »Jubelt laut, ihr roten Brüder, denn die Zöpfe bammeln nieder! Euer Häuptling is entzückt, daß sein Schädel ward geschmückt; führt ihn im Triumph nach Haus, die Komödie is nu aus! worauf das Publikum offschteht und der Vorhang aber niedergeht. In dieser Weise denke ich mir das Festprogramm, und nu, meine Herrschaften und übrigen Gentlemen, mag das Schtück beginnen. Wer am besten schpielt, kriegt ooch keene Gage!«" Karl May: Der schwarze Mustang

 Karl May hat in seiner Autobiographie geschrieben, nie habe er im Ernst behauptet, zu solchen Taten fähig zu sein wie Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Diese stünden nur für sein besseres Selbst und Kara Ben Nemsi zumal für die Menschheitsfrage im allgemeinsten Sinne. Sein menschlich fehlerhaftes Selbst, seine anima, habe er in der Gestalt Hadsch Halef Omar geschildert und diesen ja höchst kritisch dargestellt. Doch wenn er in einer Figur seine geistigen Hochstapeleien, seinen fingierten Doktortitel und seine angeblich so immense Sprachkenntnis ungezählter Indianerdialekte, der verschiedenen nahöstlichen und asiatischen Sprachen, nicht zuletzt des Chinesischen, auf die Schippe genommen hat, so in Hobble-Frank.
Freilich tat er es, als er noch glaubte, seine eigenen Angebereien seien für ihn harmlos. Was bei Hobble-Frank noch lustig ist, wurde für Karl May zum bitteren Ernst.

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