16 Mai 2012

Betrug beim Stelldichein

Roquairol liebt Linda und hat vor, sich an Albano zu rächen, indem er Linda gegenüber vortäuscht, Albano zu sein, und so ihre Liebe zu genießen.

Oben auf dem Lilarsberg mit dem Altare stand, wie der böse Geist auf der Zinne des Paradieses, Roquairol und blickte scharf in den Garten herab, um Linda und ihren Weg zu finden. [...] Er eilte den langen Schneckenberg herab, warm wie eine vergiftete Leiche. [...] Er schlich leise wie der Tod [...]

Tief im engern laubigen Tale sang Linda leise ein altes spanisches Lied aus ihrer Kinderzeit. Endlich wurde sie erblickt – die Riesenschlange tat den giftigen Sprung nach der süßen Gestalt, und sie wurde tausendfach umwunden.
Er hing an ihr sprachlos – atemlos – die Wolke seines Lebens brach – Tränen der Glut und Pein und Wonne rannen brennend fort – alle Arme, worein der Strom seiner Liebe bisher seicht umhergelaufen war, schossen brausend zusammen und faßten und trugen eine Gestalt – – »Weine nicht, mein guter Mensch, wir lieben uns ja immer wieder«, sagte Linda, und die zarte schöne Lippe gab ihm den ersten innigen Kuß. Da kreisete das Feuerrad der Entzückung mit ihm reißend um, und um den darauf geflochtenen Kopf wehten die Flammen-Kreise hoch auf. Aus Furcht, erblickt zu werden, wenn er erblicke, und aus Lust hatt' er die Augen geschlossen; jetzt tat er sie auf- so nahe an sich und in seinen Armen sah er nun die hohe Gestalt, das stolze blühende Antlitz und die feuchten warmen Liebes-Augen. »Du Himmlische,« (sagt' er) »töte mich in dieser Stunde, damit ich sterbe im Himmel. Wie will ich nachher noch leben? – Könnt' ich meine Seele in meine Tränen gießen und mein Leben in deines und wäre dann nicht mehr!«
[737] »Albano,« (sagte sie) »warum bist du heute so anders, so traurig und weich?« –
»Nenne mich« (sagt' er) »lieber bei deinem Namen, wie die Liebenden auf Otaheiti die Namen tauschen. – Vielleicht hab' ich auch etwas getrunken – aber ich bereue ja das Gestern – ich liebe dich ja neu. Ach, du, liebst du denn auch mein Innres, Linda?«
»Süßer Jüngling, kann ich es denn jetzt nicht ewig lieben? – Ich bleibe ja bei dir und du bei mir.«
»Ach du kennst mich nicht. Wenn weiß es denn der Mensch, daß gerade er, gerade dieses Ich gemeinet und geliebet werde? Nur Gestalten werden umfasset, nur Hüllen umarmt, wer drückt denn ein Ich ans Ich? – Gott etwa.« –
»Und ich dich« – sagte Linda.
»O Linda, liebst du mich fort in meinem Grabe, wenn die Spreu des Lebens verflogen ist – liebst du mich fort in meiner Hölle, wenn ich dich aus Liebe gegen dich belogen habe? – Ist denn Liebe die Entschuldigung der Liebe?«
»Ich liebe dich fort, wenn du mich liebst. Bist du die Giftblume, so bin ich die Biene und sterbe in dem süßen Kelch.«
Die Braut sank an seinen Hals. Er umklammerte sie heftig [...] »Man sieht« (setzt' er eilig dazu) »das auferstandne Herkulanum, aber man wohnt im blühenden Portici darüber; ich und du sahen im Baja-Golf unter dem Meer die versunknen Bogen und Tore, und wir schifften nach lebendigen Städten weiter. – Ist mir doch auch Roquairol in so manchem so ähnlich und liebt dich so sehr und so lange und starb auch einmal wie Liane!« –
[738] »Aber diesen hatt' ich nie geliebt, und nun bin ich deine ewige Braut.«
»Der arme Mensch! Aber ich tat, glaub ich, doch nicht recht, da ich einst in der Tartarushöhle dir Ungesehenen im voraus entsagte aus Liebe gegen den Freund.«
»Gewiß nicht; aber wie kommen wir beide auf dieses unheimliche Wesen?« sagte sie küssend.
»Heimlich möcht' ichs eher nennen«, versetzt' er, entbrennend in hassender Liebe, im Zwiespalt der Rache und Lust und entschlossen, nun den Leichenschleier über ihre ganze Zukunft zu weben. Er schlug die schwarzen Adlerschwingen um das Opfer und erstickte und erweckte Küsse, er riß die Orangenblüten von ihrer Brust und warf sie zurück. »Liebe ist Leben und Sterben und Himmel und Hölle,« (sagt' er) »Liebe ist Mord und Glut und Tod und Schmerz und Lust – [...]
Jetzt sah er am Himmel die Sturmwolken wie Sturmvögel zwischen den Sternen und neben dem zornigen Blutauge des Mars schon heller fliegen; der Mond, der ihn verjagte und verriet, warf bald das Richter-Auge eines Gottes auf ihn. Im Hohne gegen das Schicksal riß er auf für seine küssende Wut den Nonnenschleier und Heiligenglanz ihrer jungfräulichen Brust. Fern stand der Leuchtturm des Gewissens, von dicken Wolken umzogen. Linda weinte zitternd und glühend an seiner Brust. »Sei mein guter Genius, Albano!« sagte sie. – »Und dein böser; aber nenne mich nur ein einzigesmal Karl«, sagt' er voll Wut. »O heiße denn Karl, aber bleibe mein voriger Albano, mein heiliger Albano!« sagte sie. –
[739] Plötzlich fingen im Tal die Flöten an, die der fromme Vater zu seinen Abendgebeten spielen ließ. Wie Töne auf dem Schlachtfeld riefen sie den Mord heran – da schmolz Lindas goldner Thron des Glücks und Lebens glühend nieder, und sie sank herab, und das weiße Brautkleid ihrer Unschuld wurde zerrissen und zu Asche.
»Nun die Deinige bis in meinen Tod!« sagte sie leise mit Tränenströmen. »Nur bis in meinen«, sagte er und weinte jetzt weich mit den weinenden Flöten. [...]  Roquairol, wie betäubt von solcher Gegenwart, war nahe daran, zu sagen: sieh mich an, ich bin Roquairol; aber der Gedanke stellte sich schnell dazwischen: »Das verdient sie nicht um dich; nein, sie erfahr' es erst in der Zeit, wo man den Menschen alles vergibt.« – Noch einmal heftig hielt er sie an sich gedrückt, das Mondlicht fiel schon auf beide herein, er wiederholte tausend Worte der Liebe und Scheidung, stieß sie zurück, fuhr schnell um und schritt in Albanos Kleidung durch das Tal hindurch. [...]
 – »Nu, nu,« (sagt' er) »ich war wohl glücklich, aber ich hätt' es noch mehr sein können, wär' ich Ihr verdammter Albano gewesen« – und schwang sich auf sein Freudenpferd und jagte noch in der Nacht nach dem Prinzengarten. (128. Zykel)

Keine Kommentare: