03 März 2012

Er sieht Liane

Liane ist halb blind und darf nur nachts ins Freie, um die Augen zu schonen. Albano sieht ihr aus einem Versteck zu:



Der Mond, dieser Stern, welcher Weise voll Weihrauch zum Anbeten leitet, ließ endlich breite lange Silberblätter als Festtapeten an Lianens Morgenzimmer niederfallen – [...]
Liane stand droben im Mondenschimmer hinter dem flatternden Wasser. Welche Erscheinung! – Er riß die Laubenzweige an seinem Angesichte auseinander und schauete unbedeckt und atemlos an die heilig-schöne Gestalt! Wie griechische Götter überirdisch vor der Fackel stehen und blicken, so glänzte Liane vor dem Monde, von dem umherrinnenden Widerscheine der silbernen Regenbogen beschattet, und der selige Jüngling sah die junge offne stille Marienstirn bestrahlt, auf der noch kein Unmut und keine Spannung eine Welle geworfen – [...]
Im Menschen wohnt ein rauher blinder Zyklope, der allemal in unsern Stürmen zu reden anfängt und uns Zertrümmerung anrät; furchtbar regte sich jetzt in Zesara die ganze aufgewachte Kraft der Brust, der wilde Geist, der uns auf Kuntursfittichen vor Abgründe schleppt, und der Zyklope rief laut in ihm: »Stürze hinaus – knie vor sie – sag ihr dein ganzes Herz – was ists, wenn du dann auf ewig verloren bist, hast du nur einen Laut dieser Seele vernommen – und dann kühle und opfere dich in den kalten Quellen zu ihren Füßen.« – Wahrlich er dürstete nach dem frischen Bassin, worein die Fontänen zurücksprangen – – Aber ach vor dieser Sanften, vor dieser Gequälten und Frommen! – »Nein,« sagte der gute Geist in ihm, »verwunde sie nicht wieder wie ihr Bruder – o schone, schweige, ehre; dann liebst du sie.« [...]
Als er vor ihr vorbeiging, brach auf einmal die Arkade aus Tropfen, die sie halb vergittert hatte, zusammen, und Liane stand wolkenlos wie eine reine Luna ohne Nebel-Hof im tiefen Himmelsblau; eine glänzende Lilie[Fußnote: Sonst glaubte man, daß eine im Chorstuhle liegende Lilie den Tod dessen bedeute, dem er gehörte.] aus der zweiten Welt, die sich selber das Zeichen ist, daß sie bald in diese fliehe. – – O sein Herz voll Tugend empfand erschüttert die Nähe der fremden; und mit allen Zeichen der tiefsten Verehrung ging er vor dem ruhigen Wesen vorüber, das sie nicht bemerken konnte. Erst als ihm mit jedem Schritte ein Himmel entfallen war und er endlich keinen mehr hatte als den über sich: wurd' er ganz sanft und freuete sich, daß er nicht kühner gewesen. – Wie glänzt ihm jetzt die Erde, wie nähert sich ihm der Sonnenhimmel, wie liebt sein Herz! – O noch nach vielen Jahren einst, wenn dieser glühende Rosengarten der Entzückung schon weit hinter deinem Rücken liegt, wie wird er dir, wenn du dich umwendest und darnach blickst, so sanft und magisch als ein weißes Rosenparterre der Erinnerung nachschimmern! –[...]
Wäre der Lehnpropst von Hafenreffer nicht, sondern nur meine Phantasie: so würd' ich gewiß in meiner Historie fortfahren und der Welt als wahr berichten (und das ganze romantische Schreibgelag ließe sich darauf totschlagen), Albano sei am andern Morgen blind und taub hinter der breit vorgebundenen Binde des Bandagisten Amor dortgesessen – er habe nicht mehr über fünf zählen können, außer abends an der Glocke, um nachher das Froulaysche Wasserhäuschen magisch zu umkreisen wie einer, der das Feuer besprechen will, das sich ihm nachschlängelt – aus den beiden Blaselöchern, womit sentimentale Walfische sich öffentlich ausweinen in Buchläden, hab' er beträchtliche Ströme aufgespritzt – übrigens hab' er kein Buch mehr angesehen (ausgenommen einige Bogen im Buche der Natur) und keinen Menschen mehr (einen blinden ausgenommen) – – »und unter diesen meinen Wundzettel erotischer Wundfieber« (würd' ich am Schlusse meiner Lüge sagen) »setzt wohl offenbar die Natur ihr Sekrets-Insiegel.« Das tut sie nicht, sagt Hafenreffer; – nichts wie verdammte Lügen sinds; die Sache ist vielmehr so: Zesara schlich kein zweitesmal mehr in Froulays Garten; eine stolze Schamröte überflog ihn schon bei dem Gedanken an die peinliche, mit der er das erstemal einem mißtrauischen oder fragenden Auge aufgestoßen wäre. [...]
Sein Durst nach Wissen und Wert, sein Stolz, der ihm bei dem Vater und seinen beiden Freunden in einem rühmlichen Lichte zu stehen gebot, trieben ihn in seine Laufbahn hinein. Mit allem ihm eignen Feuer warf er sich über die Jurisprudenz und machte keinen andern Weg mehr als den zwischen dem Hörsaale und dem Studierzimmer. Zu diesem Eifer zwang ihn ein eigentümlicher Trieb nach Komplettierung; [...]
(Jean Paul: Titan 6. u. 7. Jobelperiode, 35. u. 36. Zykel)

Keine Kommentare: