10 März 2012

Begegnungen

Einhart und Doktor Poncet
"Einharts Augen waren jetzt immer sehr wach. Er war jetzt auf dem Menschenfang, wie er es nannte. So begegnete er in einem vornehmen Hause der Stadt einmal einem Gelehrten, der so dunkel und verschlossen war wie er selbst.
Beider Augen hatten sich erst wie zufällig nur begegnet.
Dann am Kamin waren sie zueinander gekommen. Sie sprachen dabei nichts.
Doktor Poncet war von herrischer, wegwerfender Gebärde und dachte nicht daran, jeden [44] gleich anzusprechen. Und Einhart lächelte nur ein wenig. [...]
Es gab durchaus gar keine laute Bewegung. Die beiden starrten nur in das Loderfeuer des Kamins. Nichts weiter zuerst lange. Doktor Poncet sah dann, immer mit unterstützten Armen sich haltend, seiner Zigarre Glühende an, desgleichen Einhart auf den Glühfleck seiner Zigarette sah. Das Feuer flammte und die Scheite knackten.
»Feuer ist schwer zu malen,« sagte Poncet endlich, weil er sich jetzt erinnerte, daß Einhart Maler war.
»Gott ja,« sagte Einhart. Dann standen sie wieder, ehe sie sich auch einmal flüchtig in die Augen sahen.
So begannen sie langsam zu fühlen, daß sie sich[45] viel zu erzählen gewußt. Um so hartnäckiger schwiegen sie."
Carl Hauptmann: Einhart der Lächler, Viertes Buch, 6, S.43-46

Einhart und Johanna
"Er ging mit Poncet Arm in Arm. Denn Poncet liebte Einhart, und Einhart Poncet. Ein jeder, wie es kam, hatte bald, wenn sie so gingen, den Arm in den des andern vertraulich eingelegt. Nun eben war es, daß Einhart in der sonderlichsten Laune Poncet plötzlich losließ. Es schneite weich und die Flocken tanzten.
»Nein,« sagte er nur, »hier werde ich mich nicht groß besinnen und einfach zurück die alte Fährte gehn!« [...]
[50] Einhart lief, was er konnte. Das Mädchen war wieder in seiner Nähe. Sie war schlank und hatte einen eiligen Schritt. Offenbar ging sie mit einem Ziele. Einhart war kindlich erregt, neugierig und lustig. Er kannte auch gar keine Scheu und Rücksicht. Ihre Augen hatten wie sammetene Blätter geschienen. Dunkel und großäugig hatten sie ihn angeblickt, wie Eulenaugen. So tief, wie wenn es Weisheit gewesen, die ihn angesehen. So lief er jetzt nur schnell vorüber und blickte sich nach den Augen wieder um.
»Nein, um keinen Preis dürfen Sie mir jetzt entwischen,« sagte er hastig.
»Wie?« sagte das junge Fräulein nur, als wenn sie ganz arglos wäre und gar nicht weiter auf ihn geachtet.
Da stand auch Einhart in seinen langen Mantel gehüllt schon vor ihr mit seinen lächelnden Augen voll kindlicher Freude, sah ihr prüfend drollig ins Gesicht und machte sie so im Laternenscheine und Flockenspiele lachen.
»Lachen Sie nur, mein sehr gutes Fräulein! Aber ich muß um jeden Preis noch einmal Ihre Augen sehen, ehe ich es glaube!« sagte er bestimmt.
[51] »Was glaube?« sagte das Fräulein, das eine sanfte, bleiche Miene hatte und dessen Augen in Wahrheit groß schienen wie Dunkelflecken.
Der Schneefall trieb und tanzte um sie.
»Ach, nein, nein! so etwas Wunderbares!« sagte Einhart ganz inbrünstig. »Ich muß Sie um jeden Preis wiedersehen.«
»Wenn Sie meinen!« sagte das Fräulein, kindlich wie er. Denn Einhart gewann durch Ton und Glück seines Erstaunens gleich einen Eingang in ihre Seele.
»Wenn es nur meine Augen sind!« sagte sie sanftmütig und brach dann plötzlich richtig in Kichern aus.
Da gingen sie schon miteinander."
Carl Hauptmann: Einhart der Lächler, Viertes Buch, 7, S.49

Poncet und Johanna
"Nun: Einhart konnte plötzlich ein Gefühl nicht loswerden, als wenn er jetzt erst ganz die eigene Kunst gefunden. Er sah rein nichts sonst. Er fühlte nur, als wenn jetzt der letzte Zwang plötzlich gewichen und er frei geworden wäre zur eigensten Betriebsamkeit.
Dazu kam, daß Johanna einen echt mütterlichen Zug hatte. Sie begann für Einhart zu sorgen, um den sich all die Jahre nur höchstens einmal eine gutgelaunte Wirtin zufällig umgesehen. Jetzt saß Johanna stundenlang bei ihm am Tage und versah allmählich alles.
Es war garnicht gut für Einhart. In der ersten [60] Zeit kam deshalb Einhart wochenlang nicht mehr auf die Straße. Und bald hatte sich Einhart an Johannas Anwesenheit derartig gewöhnt, daß er rein nichts zu tun vermochte, wenn nicht die ein wenig dumpfe, kindliche Plauderstimme um ihn und in seine Arbeit hineinfloß.
Doktor Poncet kannte Johanna jetzt auch längst. Er hatte sie auch gleich gern gehabt. Ihm war unsäglich wohl nur schon deshalb, weil ihm in den beiden Räumen, von denen der Atelierraum groß und geräumig war, nichts als eine arglose Menschlichkeit und ein rechtes Lebensvergnügen entgegenkam. Daheim bei ihm war das anders. [...]
Einhart hatte jetzt einigermaßen auskömmlich zu leben. Obwohl das auch noch schwankte, was ihn garnicht weiter anfocht. Denn jetzt, wo er mit Johanna lebte, war er schnell in eine wahre Arbeitsleidenschaft [61] hineingerissen. Daß Bild um Bild aus dieser Erhitzung aufging.
Und auf allen Bildern erschien jetzt Einhart und Johanna. Einhart malte jetzt sich in allen möglichen Schicksalen und Gefühlen, und immer Johanna dazu, als eine süße, selige Begleitung, als die eigentliche Melodie des Lebens, um die es sich allein lohnte, solcher Musik zuzuhören. [...]
Der Ausdruck des strengen Wächters über seiner Liebe ging durch alle Bilder hindurch. Der sanfte, arbeitversunkene, spitzlächelnde Einhart wußte es gar nicht, daß einer immer jetzt sich so fehdehaft und kampfsicher aus ihm hinausgab. Doktor Poncet [62] stand oft heimlich erstaunt über die Fülle und Kraft solchen Ausdrucks, und über die schwebende Seligkeit, die durch solche Kontraste sich ins Blut schrieb aus den durchaus stummen Malerspielen. [...]
»Man muß es mit den Sinnen greifen. Nur mit den Sinnen hält der Mensch sich fest in der Welt, wie der Baum mit den Wurzeln in der Erde.«
Einhart sagte es nicht. Aber Poncet sagte es jetzt,[68] weil es Einhart lebte. Poncet begann allmählich kindlich zu lachen wie Einhart. Wenn er kam, saß er stundenlang. Johanna fand ihn angenehm. Ihre Eulenaugen sahen zu ihm hinüber. Ihre Augen waren immer zärtlich im Blick. Poncet begann sie oft anzusehen. Einhart fühlte, daß Poncet sich heimlich neu zu sehnen angefangen.
»Die kleinen Handreichungen des Lebens sind es,« sagte er einmal vor sich hin. Er sah Johanna oft nicht mit bloßer Achtlosigkeit an.
Und einmal war es gekommen, gegen das Frühjahr, wie Einhart zufällig nicht daheim war. Da hatte Poncet lange nur stumm dagesessen und hatte Johanna dadurch geradezu verlegen gemacht. [...]
Außerdem sind die brennenden Blicke dunkler Augen, wie die sehnsüchtigen Poncets eine wundersame Sprache des Preisens. Das Herz der Frau wird neugierig. Die Eulenaugen Johannas baten gegen Poncet, wie er so immer noch stumm als [69] Schatten auf der Skizzenkiste unter dem großen Atelierfenster saß. Aber sie versuchten Poncet auch um so mehr.
Die Neugier Johannas war so hart in ihr geworden, daß sie einfach nicht mehr hinaus konnte. So blieb sie und hantierte lange vor Poncet. Eine Weile dachte sie noch immer, daß Einhart kommen müßte. Aber je mehr sie hoffte, desto bestimmter sprachen ihre Blicke Sanftheit hin in den stummen, in sich verzehrten Poncet.
»O Gott Gott!« hatte er schon manchmal vor sich hin gesagt. Jetzt rang er heimlich sich zu überwinden. Aber Männer, die die Leidenschaft zu früh blind gemacht, stehen unter einem unentrinnbaren Zwange.
»O Gott! nein! daß Einhart nicht kommt!« stieß nun auch Johanna heraus, gleichsam seine Angst vor sich aufnehmend, und weil auch schon die Dämmerung in den Raum spann. Dann griff sie endlich eine leichte Hülle, einen bunten, leichten Seidenschal, um doch noch jetzt hinauszufliehen. Da waren Poncets Süchte plötzlich hart aufgebrannt, daß er sie atem-und lautlos von der Tür zurück und an sich gerissen und sie sinnlos hastig und heiß brünstig geküßt hatte.[70] Johanna in ihrer Kindlichkeit hatte sich lange küssen lassen, mit hastigem, aber nicht starkem Widerstreben und hatte dann erst noch eine Weile drollig zärtlich gelacht, ehe sie unversehens ebenso hart aufgeschluchzt.
»Wie? Was? Pfui! Pfui! o! Nein nein! nein aber, wie Sie nur können!« hatte sie noch herausgestoßen, als Einhart auf der Treppe draußen hörbar wurde.
In demselben Augenblick hatte Johanna gleich mit ihren Eulenaugen zärtlich zu Poncet hin gebeten, reckte sich aufrecht, sich gleich einfindend in eine gleichgültige Hantierung. Und als Einhart mit einem Strauß Maiglöckchen eintrat, ganz beglückt nur von der Absicht sprechend, bald in eine ländliche Einsamkeit, ins Gebirge oder ans Meer zu gehen, saß Poncet wieder als Schatten gegen das Dämmerlicht. Einhart war ganz achtlos und arglos."
Viertes Buch 8 und 9, S.59-70

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