14 Januar 2012

Trotz allem hier ein Auszug aus Mickiewicz' "Pan Tadeusz"

Marcel Reich-Ranicki schreibt über den "polnischen Goethe":

"Mickiewicz verkörpert am stärksten das polnische Ideal des Dichters: In seiner Biographie und in seinem Werk drückt sich die Synthese von Kunst und Leben, von Geist und Tat am klarsten aus. [...]
Je mehr die polnische Literatur den unterschiedlichen Ansprüchen nachkam, desto mehr war sie für die Ausländer unverständlich und auf Kommentare angewiesen. Das Nationalepos der Polen, der „Pan Tadeusz“ von Mickiewicz, beginnt mit den Worten: „O Litauen, du mein Vaterland . . .“ Schon braucht der deutsche Leser eine Erläuterung. Also Lyrik mit Anmerkungen? Das ähnelt, fürchte ich, der Liebe mit einem Sexualleitfaden in der Hand. Das wunderbare Epos „Pan Tadeusz“ wurde fünfmal ins Deutsche übersetzt und hat hier doch keine Leser gefunden."

Erster  Gesang
Zum Inhalt: Die Wirtschaft
Rückkehr des jungen Herrn. Die erste Begegnung im Stübchen, die zweite bei Tische. Des Richters wichtige Lehre von der Artigkeit. Des Kämmerers politische Bemerkungen über die Moden. Beginn des Zwistes um Mutz und Falk. Die Klagen des Wojski. Der letzte Gerichtsfrohn. Ein Blick auf die damalige politische Lage Lithauens und Europas.

Lithauen! Wie die Gesundheit bist du, mein Vaterland!
Wer dich noch nie verloren, der hat dich nicht erkannt.
In deiner ganzen Schönheit prangst du heut' vor mir,
So will ich von dir singen, – denn mich verlangt nach dir!

O heil'ge Jungfrau, Czenstochowa's Schirm und Schild,3
Leuchte der Ostrabrama! Du, deren Gnadenbild
Schloß Nowogrodek und sein treues Volk bewacht:
Wie mich, als Kind, dein Wunder einst gesund gemacht,
Als von der weinenden Mutter in deinen Schutz gegeben,
Ich das erstorb'ne Auge erhob zu neuem Leben,
Und konnte gleich zu Fuß in deine Tempel geh'n,
Gerettet, Gott zu danken für's Heil, das mir gescheh'n:
So wird zum Schooß der Heimat dein Wunder uns wiederbringen!
Indessen trage du mir der sehnenden Seele Schwingen
Zu jenen waldigen Hügeln, zu jenen grünen Auen,
Die weit und breit sich dehnen am Niemenstrom, dem blauen, –
Zu jenen Feldern, prangend voll bunter Ähren und Garben,
[4] Wo goldig strahlt der Weizen, der Roggen silberfarben,
Rübsamen bernsteinhell, Buchweizen schneeig blüht,
In jungfräulichem Roth der duftige Quendel glüht,
Und, wie ein Band, durch Alles der grüne Rain sich schmiegt,
Drauf da und dort ein Birnbaum still die Krone wiegt.

Auf einem Hügel erhob sich mitten in solchem Land,
Von Birkengehölz umgeben, an eines Bächleins Rand,
Ein Herrenhaus, – von Holz, der Unterstock von Stein;
Es leuchteten von Ferne die Wände weiß und rein,
Das Weiß vom dunklen Grün der Pappeln noch gehoben,
Die ihm zum Schutze dienen vor des Herbstwinds Toben;
Ein wohnlich saub'res Haus, wenn auch von mäßiger Größe,
Hat eine große Scheuer, und drei Getreidestöße
Liegen noch neben ihr – die faßte der Söller nicht mehr.
Man sieht wohl, reichgesegnet ist das Land umher.

Mickiewicz: "Pan Tadeusz", 1. Gesang

Marcel Reich-Ranicki schließt die kurze Bemerkung zur polnischen Literatur, die ich oben zitiert habe, mit folgenden Worten:

"Diese Literatur, die stets intensiv mit nationalen, wenn nicht regionalen Fragen befasst war und immer auch noch die Erfordernisse der Zensur, zumal der zaristischen, zu umgehen hatte, konnte also schwerlich ein Echo im Ausland haben. Überdies sind in der polnischen Literatur rein poetische Werke (Gedichte, Versepen, Versdramen) erheblich origineller als die Prosawerke. Viele dieser Dichtungen hat man ins Deutsche übertragen, es sind bessere oder schlechtere Übersetzungen, doch eins haben sie alle miteinander gemein: Sie geben vom Fluidum, vom Charme dieser Dichtung nur wenig oder gar nichts wieder."

Wollen Sie trotzdem versuchen, hinein zu schauen?

Hier das polnische Original.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hier im Orginal ab 3:20min

http://www.youtube.com/watch?v=Vq-VmzcJa3Y

;)