05 November 2011

Mörike: Idylle vom Bodensee

Dem Lyriker und Märchenerzähler Eduard Mörike werden viele nicht zutrauen, eine ausführliche Idylle in Hexametern geschrieben zu haben: ein Lob auf Landschaft und ländliches Leben am Bodensee, doch auch eine ausführliche Schilderung eines Streichs, den die ländliche Jugend einer jungen Frau spielt, die ihrem allseits beliebten Freund um einer reichen Partie willen den Laufpass gibt.

 Dicht am Gestade des Sees, im Kleefeld, steht ein verlaßnes
Kirchlein, unter den Höhn, die, mit Obst und Reben bewachsen,
Halb das benachbarte Kloster und völlig das Dörfchen verstecken,
Jenes gewerbsame, das weitfahrende Schiffe beherbergt.
[… ]
Noch noch weilte die Sonn in Westen und wärmte des Kirchleins
Mauern; es schattete zierlich im Fenster die steinerne Rose
Innen sich ab an der Wand, an welche gelehnt auf den kühlen
Platten die Mähder vom Dorfe den Trunk einnahmen, der Schneider
Wendel und seines Weibes Verwandter, ein lediger Bursche,
Steffen genannt; die zwei. Zu ihnen gesellte sich grüßend
Martin, der Fischer, ein Siebziger schon, noch munter und rüstig;
Nicht wie seines Gewerbes die anderen, denen der Geist sich
Stumpft im gemächlichen Tun des gleich hinschleichenden Tages,
Denen die Zunge sogar in stummer Fische Gemeinschaft
Auch erstarrt, ein freundliches Wort nur mürrisch erwidernd.
Er nun stand in der Türe. Den Mostkrug reichte der Schneider
Ihm zum Bescheid und fragte, nachdem er getrunken, den Alten:
    »Fischer, wie lang ist's her, seit daß die Kapelle den Meßner
Nimmer gesehn und daß sie kein Vaterunser gehört hat?
Doch wohl ein sechzig Jahre, so schätz ich, oder darüber?«
    Aber der andere sagte darauf: Mitnichten! Es denkt mir,
Als ich ein Bursche mit achtzehn war, da pflegten die jungen
Ehfraun noch hierher am dritten Tag nach der Hochzeit
Beten zu gehn, nach altem Gebrauch, wann eben der Morgen
Grauete über dem See. Mit einer Gefreundtin alleine
Ging sie, die Neuvermählte, verhüllten Hauptes, und brachte
Eine wächserne Kerz und ließ den Küster die Glocke
Für sich läuten da droben, als welches besonderen Segen
Bringen sollte den Fraun, da mit ihr sich ein Wunder begeben.
[…]

Der Fischer berichtet von einer Glocke, die hier immer noch hänge, auch wenn die Kapelle schon lange nicht mehr genutzt werde.

»Aber«, so fuhr der Wendel nun fort, »wo kam denn die Glocke
Selber am Ende noch hin, die zuletzt für die rechte gedient hat?
Wurde sie etwa verkauft im Aufstreich, oder, ich will nicht
Hoffen, geraubt, wie die erste, von gottvergessenen Händen?«
    Ernstlicher Miene versetzte darauf der Befragte mit Schalkheit:
»Besser verborgen ist manches dem Menschen, denn daß er es wisse,
Sagt ein vortrefflicher Lehrer, Ambrosius, wenn es mir recht ist.
Denn wovon einer nicht weiß, und läg es ihm auch vor der Nase,
Dessen begehret er schon selbst nicht, daß er solches entwendend
Sein Gewissen beschwere, mit Gott so vermied er den Fallstrick.
Doch euch darf ich vertraun was ich nur in voriger Woche
Erst zufällig entdeckt; auch sagt ihr es beide nicht weiter.
Hört denn: weder verkauft im Aufstreich wurde die Glocke,
Noch kam sonst sie abhanden, durch Gaudieb', oder zur Kriegszeit,
Wo ja, zerstückt und zum groben Geschütze gegossen, schon manche
Lernte den schrecklichen Dienst: vielmehr zur Stunde noch hängt sie
Droben in ihrem Gebälk. Kein Mensch denkt dran und ich selber
Wunderte mich; doch zweifelt ihr etwa, so geht nur ein dreißig
Schritte zunächst da hinauf im Neubruch, neben des Schusters
Weinberg, bis zu dem Nußbaum links, da könnt ihr sie sehen,
Durch den zerrissenen Laden! Sie tritt mit der unteren Schweifung
Halb ins Licht; dem schärferen Aug entgeht sie nicht leichtlich.
Niemand weiß es bis jetzt, durch mich zum wenigsten niemand,
Außer dem Schultheiß, dem ich sogleich pflichtschuldige Meldung
Tat. Er salviere sie nur, eh es ruchtbar wird in der Gegend!
Wohl bald fänden sich da Liebhaber; ich stünde nicht gut für.
Denn an Gewicht drei Zentner, ich setze das mindeste, hat sie.
Kommt auf das Pfund ein Gulden, so macht sich die Rechnung von selber.
[…]
Der Schneider beschließt mit seinem Verwandten, die Glocke aus dem Turm zu holen, doch der Fischer belauscht sie dabei und geht dann nach Hause.

    Ländliche Muse! nun hemme den Schritt und eile so rasch nicht
Fort an das Ziel! Du liebest ja stets nach der Seite zu schweifen,
Und ruhst wo dir's gefällt. So wende dein offenes Antlitz
Hinter dich, fern in die Zeit, wo dein Liebling, jung noch mit andern,
Kühnerer Taten sich freute. Vergönn uns einen der Schwänke,
Deren er jetzo gedenkt auf dem Heimweg dort nach dem Dorfe.
Niemals-Alternde, du hast alles gesehen mit Augen!
[…]
Diesem Schwank widmet Mörike vier der sieben Gesänge der Idylle. Man kann ihn bei gutenberg.de nachlesen.

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