28 Juni 2011

Von Klosterherren und ihren gesprenkelten Nelkenstöcken sowie Meister Gottfrieds Späßen

Als Storm am 27.3.1877 den Briefwechsel begann, mag er einige Zeit darüber nachgedacht haben, wie er wohl das Wohlwollen des Schweizer Hagestolzes gewinnen könne. Davon zeugt außer dem Anfang mit dem Bild der gemeinsamen Keller-Lektüre von Vater und Sohn auch die dem Sohn zugeschriebene Äußerung „Der Stier von Uri wird dich auf die Hörner nehmen und fortschleudern!“
Es waren doch recht unterschiedliche Charaktere, die da aufeinander trafen, auch wenn sie in Heimatliebe, demokratischer Grundhaltung und einer künstlerisch leicht konservativen Haltung ihre Gemeinsamkeiten hatten. Keller, der Zurückhaltendere, von dem Anekdoten berichteten, dass er sich bei seinen abendlichen Bierabenden mit Freunden schon durch ein, zwei Sätze eines Gastes gestört fühlte („Er schwätzt zu viel.“) Storm, der Werbende, der aber vor „goldnen Rücksichtslosigkeiten“ nicht zurückschreckte, wenn es um künstlerische Leistungen ging, die seinem Sentiment nicht entsprachen.
Peter Goldammer mag schon Recht haben, wenn er annimmt, dass die beiden nicht zueinander gefunden hätten, wenn sie schon in ihrer Berliner (Keller) bzw. Potsdamer Zeit (Storm) aufeinander getroffen wären. Storm schon in seiner Gymnasiastenzeit in den Kreis um Geibel eingeführt, examinierter Jurist und andererseits Keller, der Autodidakt, der bemüht ist, sich seines eigenen Wertes gegen das Urteil gesellschaftlicher Autoritäten zu versichern.

Doch als der Briefwechsel 1871 beginnt, finden sich die beiden im Gespräch über ihre Werke.
Keller scheint sich von Storm ein von hohem Kunstverstand geprägtes Urteil zu versprechen, das nicht von Literaturjargon geprägt ist, sondern das Handwerkliche der dichterischen Arbeit in den Mittelpunkt stellt. So verstehe ich jedenfalls seine Bemerkung im zweiten Brief (31.12.77):


"Es ist mir übrigens, wenn ich von dergleichen an Sie schreibe, nicht zu Mute, als ob ich von literarischen Dingen spräche, sondern eher wie einem ältlichen Klosterherren, der einem Freunde in einer anderen Abtei von den gesprenkelten Nelkenstöcken schreibt, die sie jeder an seinem Orte züchten."

(Dabei scheint mir das "jeder an seinem Orte" darauf zu verweisen, dass sie nicht versuchen sollten, es sich gegenseitig recht zu machen, sondern dass sie nur praktische Kniffe bei der Arbeit austauschen sollten.)
Dieser Wunsch wurde Keller durchaus erfüllt. Er hat wiederholt Storms Ratschläge aufgegriffen und im Zusammenhang mit der Umarbeitung des "Grünen Heinrich" sogar wiederholt um Storms Meinung gebeten.
Ein wenig klingt dabei der Austausch zwischen Goethe und Schiller über "Wilhelm Meister" an. In beiden Fällen stellt der, dem der Austausch wichtiger ist, sein kritisches Urteil zur Verfügung, um dem Gegenüber interessant zu bleiben.
Freilich als Storm aus seinem spezifischen Verständnis von Lyrik über Kellers Gedichte "goldene Rücksichtslosigkeiten" äußert, ist Keller wenig angetan, was er gegenüber Bekannten auch geäußert hat. "Gehört das nicht mehr in eine Geschichte der Geisteskrankheiten" und "die etwas unappetitliche Haar- und Bartgeschichte" (Storm am 20.9.1879) hört man sicher nicht gern über seine Gedichte. Doch Storm gegenüber beklagt er sich nicht, weil er die fachlichen Ratschäge durchaus zu schätzen weiß.
Dennoch bleibt er bis zum Ende des Briefwechsels der Zurückhaltendere, und es ist sicher vor allem Storm zuzuschreiben, dass der Briefwechsel noch bis in sein letztes Lebensjahr fortgesetzt wurde.
Auch wenn Storm mit seiner Kritik manchmal recht deutlich werden kann, weiß er sie doch auch manches Mal sehr vorsichtig einzupacken. Am eindrucksvollsten in seinem Brief vom 27. 2.1878 (in seinem dritten Brief an Keller):
"Lassen Sie mich , lieber Herr Confrater, hier eines sagen ! „ Der Dichter will auch seinen Spaß haben ! “ Ich meine, dass der Spruch von Goethe stammt* . Jedenfalls lassen Sie sich dies Recht in keiner Art verkümmern ; ich für meine Person, z.B. wenn das Seldwyler Kriegsherr den Quast in seinen schwarzen Farbetopf taucht, stemme dann die Hände in die Seite, sehe ruhig zu und denke: "Ja so! der Gottfried muss erst seinen Spaß zu Ende machen!" Und er macht ihn dann auch jedes Mal zu Ende. Aber es sind Leute, kein schofles Volk, sondern gute Leute, denen ich gern den kräftigen Born ihrer Dichtung gönnen möchte; die rufen: "Das halt der Deuwel aus!" und laufen mir davon. Diese Leute sollen wir jetzt "Die sieben Aufrechten" lesen, und ich habe alle Hoffnung, dass sie danach, wenn sie wiederum einmal den Dichter auf seinem Spaß betreffen, respektvoll mit dem Hut in der Hand das Ende abwarten werden."

*Goethes Ausspruch "Der Dichter will auch seinen Spaß haben" ist von Johanna Schopenhauer überliefert und zwar in der Form: "Das muss man nun den Künstler zugeben, er will seine Freiheit, will auch seinen Spaß haben" (nach H. H. Houben: Damals in Weimar, Erinnerungen und Briefe von und an Johanna Schopenhauer, 2. Auflage Berlin 1929 S. 57


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