06 Mai 2011

Jean Jacques Humbert Droz - Uhrmacher in Stavenhagen

Jean Jacques Humbert Droz stammte aus der bekannten Uhrmacher=Familie des Canton Neufchatel, die so viele mechanische Künstler hervorgebracht hat; der berühmte Verfertiger von Automaten, Jacques Droz, war sein naher Verwandter. – In seiner Jugend mag er etwas wild gelebt haben – er war wenigstens schon frühzeitig ein leidenschaftlicher Jäger und wurde später Soldat. – In seine Soldatenzeit fällt nun ein Ereigniß, welches nicht allein auf sein Leben, sondern auf ein weit berühmteres einen entscheidenden Einfluß ausüben sollte. Die Freiheits= und Gleichheits = Ideen der ersten französischen Revolution hatten ihren Weg selbst in die stillen Jurathäler von Locle und Chaux de fonds gefunden und wurden, wie überall, von einer Seite mit rückhaltsloser Begeisterung gepredigt, von der andern mit hartnäckigem Widerstreben zurückgewiesen. Droz, als Schweizersoldat, gehörte dieser letzteren Seite an; er sitzt eines Abends mit mehreren Kameraden beim vin rouge de Valengin, da tritt der Fechtmeister Augereau mit der rothen Jakobinermütze in das Gastzimmer und fordert die Anwesenden auf, dies Zeichen der Freiheit und Gleichheit statt der weißen Schweizer=Cocarde aufzupflanzen. Man weigert sich; aber der Fechtmeister wird dringender und reißt endlich meinem Herrn ‘Droi’ die Cocarde vom Hute. – "Ce coquin là!" sagte Herr ‘Droi’, wenn er es erzählte. – Herr ‘Droi’ packt ihn, schleift ihn in die Küche und bearbeitet ihn unter dem Beistande seiner Kameraden auf’s unbarmherzigste mit einem Scheite Holz. Der Fechtmeister, ganz zerschlagen, soll am andern Morgen den Söhnen eines reichen Kaufmanns die bedungenen Stunden geben; er scheuet aber mit dem zerschlagenen Gesichte die Oeffentlichkeit, entschuldigt sich mit dringenden Geschäften und bittet den Kaufmann endlich um ein Reitpferd. Dies erhält er, setzt sich des Abends zu Pferde und kam nicht wieder. Er ritt nach Paris und wurde Marschall von Frankreich und Herzog von Castiglione.


Man hörte nun wohl später in Neufchatel von den Kriegsthaten eines Augereau, aber Keinem, am wenigsten meinem Herrn ‘Droi’, fiel es ein, daß dieser Augereau der abgeprügelte Fechtmeister sein könne. Das dauerte jedoch nur seine Zeit; Augereau rückte als commandirender General in die Schweiz und machte seine etwas ausgedehnte Pferde=Anleihe dadurch wieder gut, daß er vorher mit einem verbindlichen Schreiben 100 Louisd’or und zwei sehr schöne Reitpferde einsandte. – Herr ‘Droi’ vermuthete nun mit Recht, daß der, welcher ein so vortreffliches Gedächtniß für Pferde gezeigt hatte, auch eines für Prügel haben könnte. er zog es also vor, seine bisherige Stellung aufzugeben, das heißt: er desertirte, ging in’s Bernische und von da nach Mümpelgart (Mon beillard – wie er es stets nannte). Hier ward er Wildschütz, kam aber – wie dieser Industriezweig es in civilisirten Ländern mit sich bringt – in unangenehme Verdrießlichkeiten mit den Behörden und in noch unangenehmere mit seinem Geldbeutel, und sah sich endlich genöthigt, für’s liebe Brod und zu seiner Sicherheit in die Reihen der Neufranken einzutreten.

Da hat er nun eine Reihe von Siegen mit erfechten geholfen; aber sei es nun, daß er von Jugend auf mehr auf die Thiere des Waldes als auf Menschen=Schießen dressirt war, er hat es auf dem Felde der Ehre nicht weit gebracht, und die einzigen Spolien, die er auf seinen Feldzügen erobert hatte, waren seine eigene Uniform, Bärenmütze und Stiefeletten, die er eines schönen Abends, als er für immer von den Franzosen Abschied nahm, um nicht ganz unbekleidet zu erscheinen, mit sich nahm.

Er schlug sich durch alle polizeilichen und militärischen Anfechtungen durch und kam, als seine früheren Kameraden die Schlacht von Marengo schlugen, nach Berlin. – Hier lächelte ihm zum ersten Male das Glück; er wurde – weiß der Himmel durch welche Vermittelung! – Kammerdiener beim Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, jenem genialen, aber sittenleichten Herrn, der später bei Saalfeld durch seinen muthigen Tod so viele Verirrungen im Leben abbüßen sollte; d.h. er wurde nicht Kammerdiener bei der Person des Prinzen selbst, sondern bei einer Person weiblichen Geschlechts, die der Person des Prinzen außerordentlich nahe Stand. 1806 folgte diese Dame dem allgemeinen preußischen Heerrufe, und Herr ‘Droi’ natürlich ihr, so daß er als sehr entfernter Zuschauer auch von dieser Zeit erzählen konnte. Nach der verlorenen Schlacht von Jena und dem Tode des Prinzen lief Herr ‘Droi’ mit seinem anvertrauten Schatz noch eine Weile in der allgemeinen Misere mit, bis ihn endlich unter Beistimmung von Mademoiselle ein französischer General von seiner Verantwortlichkeit dispensirte und ihn in meine Vaterstadt entließ, wo er sich in dem Geschäfte einer Wittwe als Uhrmacher=Gehülfe nützlich zu machen suchte. Aus diesem auf Wochenlohn gegründeten, kündbaren Kontracte wurde später ein auf Liebe gegründeter, unkündbarer; er heirathete die Wittwe und ernährte sich kümmerlich bis an’s Ende seiner Tage mit Uhrenflicken und Uhrenschmieren vom Publikum, und mit Sprachflicken und Zungenschmieren von uns Jungen. Er hätte vielleicht schon früher Abschied von diesem Leben genommen, hätte ihn nicht eine bis an’s Ende lebendige Hoffnung aufrecht erhalten, nämlich die Hoffnung auf seinen rückständigen Gehalt für die Dienste, die er Mademoiselle geleistet hatte; aber der Erbe des Prinzen Louis, der Prinz August von Preußen, wollte weder seine Dienste, noch seine Verdienste anerkennen; der arme Schelm erhielt nichts.

Wenn nun auch Manches nicht sehr Liebens= und Lobenswerthes in seinem Leben vorgekommen sein mag, so war Herr Droz doch ein guter Lehrer für die französische Konversation, denn er wußte Vieles und Fesselndes zu erzählen. Jagdabenteuer, Soldatengeschichten, Schilderungen seines Heimathlandes schmuggelten bei uns ganz unvermerkt das Verständniß der französischen Sprache ein, und selbst das geistlose Auswendiglernen von Regeln, welches mir Später auf der Friedländer Schule tagtäglich aufgetischt wurde, hat mir des Herrn Droz MutterSprache nicht verleidet.

(Fritz Reuter: Meine Vaterstadt Stavenhagen)

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