20 April 2011

Wie der Kapitän auf seine Geliebte verzichtet, weil sein Nebenbuhler verspricht, sie in 25 Jahren zu heiraten

Fritz Reuter versteht sich darauf, Szenen humoristisch zuzuspitzen.
Was genau passiert ist, lässt sich heute nicht mehr konstruieren. Aber Reuter versteht es, glaubhaft zu machen, dass sein Zellengenosse in der Festungshaft tatsächlich auf seine Geliebte verzichtet, weil sein Nebenbuhler verspricht, sie in 25 Jahren zu heiraten. Wie das?
Es geht ihm um die Ernsthaftigkeit der Liebe des anderen, und die kann der andere in der vorgegebenen Situation in der Tat nur dadurch nachweisen, dass er verspricht, die Geliebte seines Rivalen in 25 Jahren zu heiraten. Bemerkenswert ist dabei auch, dass in diesem Text das Hochdeutsche auch dem Leser, der mit dem Platt Schwierigkeiten hat, seltsam merkwürdig und unangemessen erscheint.
Äwer as wi uns' Middageten (Mittagessen) vertehrt (verzehrt) hadden, treckte hei sick den Blagen (Blauen)  an, rückte de Vatermürder en beten vör den Speigel taurecht un säd: »Charles, ich habe einen schweren Gang vor mir, willst du mich begleiten?« – Ja, säd ick, wohen hei ok ümmer gahn wull, ick wull em ümmer tau Hand stahn; äwer nu wir de Dör unnen noch tauslaten. – »Wir gehen bloß runter zum Kopernikus«, säd hei un gung. – Leiwer Gott, dacht ick, wat dit woll ward! un folgt em.

As wi unnen dal kemen, was dat Krät grad dorbi un makte sick Koffe; de Kapteihn gung strack un stramm up em los, höll em de Hand hen un säd: »Kopernikus, wir sind sechs Jahre lang ehrliche Freunde gewesen, sind wir das noch?« – »Ja«, säd dat Ding un gaww em verlegen de Hand un stickte sick gräun dorbi an (färbte sich grün dabei). – »Kopernikus«, säd de Kapteihn wider un schüddelte em so recht truhartig (treuherzig) de Hand, »hast du etwas dagegen, daß Charles Zeuge unserer Unterredung wird? Ohne daß wir weitläufig darüber gesprochen hätten, weiß er, worum es sich handelt; er soll Richter sein zwischen mir und dir.« – Dor hest du en gauden Posten kregen! dacht ick bi mi, wo dit woll warden deiht? Un ick denk: Täuw'! denk ick, sallst dat Krät en beten weikmäudig (weichmütig) maken, de Kapteihn is't all, un tüschen weikmäudig Lüd' geiht allens glatter. Un ick gew em ok min Hand hen un kik em mit alle mägliche Weihleidigkeit in dat gräune Gesicht; dunn ritt sick dat Ding los un springt nah sinen Koffepott hen un röppt: de kakte em äwer! Un hei wull noch frischen Koffe upschüdden, un denn wullen wi hüt nahmiddag recht schön Koffe tausam drinken, un de Kapteihn süll ut 'ne lange irdne Pip Toback dortau roken.

Nu bidd ick einen üm Gottes willen! Um 'ne Pip Toback was doch de Kapteihn nich herkamen, un üm 'ne Tass' Koffe giwwt doch keiner 'ne Aurelia up! – De Kapteihn säd also ok sihr kolt: »Laß das! Ich will dich bloß fragen: Liebst du Aurelien?« – Süh so, nu satt dat Krätending dor un süll Hals gewen, un nu wull hei nich. – Äwer de Kapteihn was up den richtigen Weg, un hei let nich locker: »Ick frage dich«, säd hei, »liebst du Aurelien?« – »Ja«, säd endlich de Kopernikus. – Dat was äwer den Kapteihn nich naug, kunn em ok nich naug sin, denn wenn hei sick dormit begnäugt hadd, wir de Sak ut de Welt west, un up so'ne Wis' 'ne Sak ut de Welt tau bringen, dat is jo binah, as wenn't Kind in de Weig' ümbröcht ward; hei frog also noch indringlicher: »Liebst du Aurelien mit all der Innigkeit, mit der ich sie geliebt habe?« – Dat was nu 'ne dämliche Frag' von den Kapteihn, wo kunn de Kopernikus weiten, wo deip sei em satt; ick säd also ok as Richter in de Sak: De Frag' dürwt hei nich stellen, denn dordörch set'te hei den Kopernikus blot in Verlegenheit. Un ick denk noch so bi mi: na, dor hest du dinen Posten mal gaud verwacht! – Je ja, je ja! Dunn springt dat Ding von Kopernikus up mi los un fröggt, wat ick dormang tau reden hadd? Sei wullen ehr Sak allein utmaken; un de Kapteihn seggt, dorüm hadd hei mi nich mitnamen, dat ick sei utenanner bringen süll. – Na, dat treckt mi denn nu ok eklich an, un ick frog denn, wat sei sick stats mi nich leiwer den Erzbischoff raupen wullen, de wüßt jo allens taum Gauden tau kihren, oder ok Don Juannen, de wüßt jo mit Leiwsangelegenheiten am besten Bescheid. – Dat wullen sei äwer all beid' nich, un ich würd nu ok steinpöttig un set't mi dal un drunk Koffe un rokte Toback un denk: lat't Ding sinen Lop.

De Kapteihn hadd nu äwer in de drei Dag', de hei allein seten hadd, sick einen in allen Kanten fasten Plan utdacht, un hei was en tau gauden Militör, as dat hei sinen Find slippen laten süll, un wenn de Kopernikus Sprüng' nah rechtsch un linksch maken ded, gung hei em ümmer wedder drist tau Liw' mit de Frag': »Liebst du sie mit all der Innigkeit, mit der ich sie geliebt habe?« – Nu kunn de Kopernikus nich wider retürieren, hei müßte sick stellen: Dat wüßt hei nich, säd hei, wo wid de Kapteihn in de Leiw' herinne geraden wir, bet an den Hacken oder bet an dat Hart; hei wüßt blot, dat hei sülwen dat Mäten liden müggt un dat hei eben so gaud wir as jeder anner. – Dunn let de Kapteihn den Hall'schen Flügelmann von't tweite Glid los un let em schappieren un gung mit groten Schritten up un dal un säd: »Das war dein Glück! Die Antwort rettet dich! Hättest du diese Frage mit einem einfachen ›Ja‹ beantwortet; ich hätte dich für einen Lügner ansehen müssen, denn so wie ich sie geliebt habe, kannst du sie nicht lieben.« – »Nicht?« röp de Kopernikus un set'te so'n verwogen Gesicht up, as wull hei wedder mit fleigende Fahnen un Standarten in de Slacht rücken. »Herre Gott!« röp ick dormang, »nu makt äwer Freden! De Sak is jo nu vörbi, nu kamt her un drinkt Koffe!« – »Schweig, Charles!« röp de Kopernikus; »was hast du darin zu reden?« – »Ja, schweig Charles!« röp ok de Kapteihn, »nun kommt erst die Hauptfrage.« – Na, dachte ick, ditmal un nich wedder! Wo gahn sei mit ehren Richter in Leiwssaken üm! – »Kopernikus«, frog äwer mit einmal ruhig un kolt de Kapteihn un richtete sick steidel vör em in de Höcht, »willst du Aurelien heiraten?« – As nu äwer dit swore Geschütz von Frag' unverseihens achter'n Barg rute kamm un em in de Flanken fot, treckte de Kopernikus Fahnen un Standarten in un wull sick heimlich ut den Stohm maken, äwer de Kapteihn schot ümmer wedder mit de Frag' up em los: »Willst du sie heiraten?« – Na, ick was woll verdreitlich wegen de Behandlung, de sei mi as Richter hadden taukamen laten; äwer bi dese Frag' müßt ick doch nu ludhals' lachen: »Kapteihn«, säd ick, »dat is jo mines Wissens de allerletzte Frag', un de leggt einen jo irst de Preister an'n Altor vör.« – »So?« säd de Kapteihn un kek mi von baben dal an, »so? – Nu, dann laß dir sagen, ich stehe hier auch gleichsam als Priester, denn bevor ich an dies ernste Werk gegangen bin, habe ich mein Teuerstes als Opfer dargebracht. – Und dann laß dir sagen, daß diese Frage wohl am rechten Orte ist, denn der Kopernikus kann sie zu jeder Zeit beantworten; er ist homo sui juris, er ist majorenn, seine Eltern sind tot, er hat Vermögen und hat sein Auskultatorenexamen gemacht.« – »Un sall noch fiwuntwintig Johr sitten«, säd ick. – »Das geht dich nichts an«, säd de Kopernikus, »sorge du für dich selbst! Du hast selbst noch fünfundzwanzig Jahr.« – »Ja«, säd de Kapteihn, »du kannst nicht heiraten, denn du hast ja noch nicht das Auskultatorenexamen gemacht. Jeder Auskultator im preußischen Staat kann heiraten, das heißt, wenn er Vermögen hat; ich hab's nicht, aber Kopernikus hat es, und darum soll er heiraten – ich sage: er soll heiraten, und wär's auch erst nach fünfundzwanzig Jahren.« – Un hir fung taum irstenmal bi den ganzen Handel sick in den Kopernikus sine Bost wat von Begeisterung an tau regen un ganz gräun gaww hei den Kapteihn de Hand un röp: »Und ich will heiraten!« – Un de Kapteihn slot em in de Arm un küßt em baben up den Kopp, denn an den Mund kunn hei wegen den Kopernikus sine korte Verstiperung un wegen sine krumme Näs' nich gaud ankamen, un reckte den einen Arm in de ganze Welt un röp: »Und hiermit entsag' ich allen meinen Rechten!«

In desen Ogenblick müßt dat nu grad passieren, dat Aurelia an unse Kasematt vörbi gung, an'n Sünndagnahmiddag en beten spazieren. Snubbs wendte sick de Kapteihn af un gung hinnen nah de Kasematt rin; hei was en Mann von Ihr (Ehre) un von Wurd; de Kopernikus stellte sick an't Finster un kek sin niges (neues) Eigendaum nah, un ick satt dor as't föwt (fünftes) Rad an'n Wagen un hülp mi mit Koffedrinken ut de slimme Lag'; denn alle beid' hadden sei en Haß up mi smeten, as wir ick schuld an all de Qual; äwer so mag dat woll all de Richters gahn. – Ick wull nu doch äwer ok nich so von minen Posten afgahn, ahn dat ick mi wat marken laten ded, ick säd also: »Ja«, säd ick, »wir dat nu woll nich gaud, dat wi ehr« – un ick wis'te so äwer de Schuller ut dat Finster rute –, »dat wi ehr, minentwegen dörch de lütt Iding, tau weiten kamen leten, wat wi hüt hir äwer ehr utmakt hewwen, denn ji mägt nu seggen, wat ji willt, mit in de Geschicht rinne hüren deiht sei doch.« – Dunn fohrte de Kapteihn hinnen ut de Kasematt herute un säd, dorvon verstünn ick nicks, tau Kinnerkram un Aposteldräger wir de Sak nich anleggt, de Kopernikus müßte den negsten Sünndag en swarten Kledrock un witte Hanschen antrecken un müßte bi den Papa mit paßliche Würden üm de Dochter anhollen.
Nu smet sick äwer de Kopernikus up min Sid un säd: hei hadd äwer keinen swarten Kledrock. – Denn müßt hei sick einen von den Erzbischoff borgen, de hadd einen. – Ne, säd de Kopernikus, dorför bedankt hei sick, denn dorin würd hei utseihn as de Hiring in'n Rockluhr. »Ja«, säd ick, »un wat würd de General dortau seggen?« Dit verblüffte den Kapteihn, hei wüßt ogenschinlich keinen Rat wider! »Oh!« röp hei, »wenn ihr ahntet, was mir diese Tat gekostet hat, und sie soll an einem Leibrock und an einem General scheitern!« Dormit gung hei wedder in dat hindelst En'n von de Kasematt un ümmer up un dal (hin und her). – Nah'ne Wil kamm hei still nah uns ranner: »Charles«, säd hei, »komm!« un dorbi wischte hei sick de kollen Sweitdruppen von dat blasse Gesicht; ich klappte min Pip ut, un wi gungen nah baben (oben).

(Fritz Reuter: Ut mine Festungstid, 18. Kapitel)

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