20 März 2011

Liebesszenen (Literatur des 19. Jh.)

"Bald darauf kam die Gräfin Rosa in einem weißen Morgenkleide herab. Sie hieß den Grafen mit einer Scham willkommen, die ihr unwiderstehlich schön stand. Lange, dunkle Locken fielen zu beiden Seiten bis auf die Schultern und den blendendweißen Busen hinab. Die schönste Reihe von Zähnen sah man manchmal zwischen den vollen, roten Lippen hervorschimmern. Sie atmete noch warm von der Nacht; es war die prächtigste Schönheit, die Friedrich jemals gesehen hatte. Sie gingen nebeneinander in den Garten hinein. Der Morgen blitzte herrlich über die ganze Gegend, aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel. Sie setzten sich in einer dichten Laube auf eine Rasenbank. Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches Mitleid und sprach dann von seiner schönen Donaureise. Die Gräfin saß, während er davon erzählte, beschämt und still, hatte die langen Augenwimpern niedergeschlagen, und wagte kaum zu atmen. Als er endlich auch seiner Wunde erwähnte, schlug sie auf einmal die großen, schönen Augen auf, um die Wunde zu betrachten. Ihre Augen, Locken und Busen kamen ihm dabei so nahe, daß sich ihre Lippen fast berührten. Er küßte sie auf den roten Mund und sie gab ihm den Kuß wieder. Da nahm er sie in beide Arme und küßte sie unzähligemal und alle Freuden der Welt verwirrten sich in diesen einen Augenblick, der niemals zum zweiten Male wiederkehrt. Rosa machte sich endlich los, sprang auf und lief nach dem Schlosse zu. Leontin kam ihr eben von der andern Seite entgegen, sie rannte in der Verwirrung gerade in seine ausgebreiteten Arme hinein. Er gab ihr schnell einen Kuß und kam zu Friedrich, um mit ihm wieder nach Hause zu reiten.
Als Friedrich wieder draußen im Freien zu Pferde saß, besann er sich erst recht auf sein ganzes Glück. Mit unbeschreiblichem Entzücken betrachtete er Himmel und Erde, die im reichsten Morgenschmucke vor ihm lagen. Sie ist mein! rief er immerfort still in sich, sie ist mein!"
(Eichendorff: Ahnung und Gegenwart 3. Kapitel, S.25)

Sei seten nu all, blot Hinrich nich.
»Hinrich«, säd Möller Voß, »wo? Du wardst jo doch woll up dinen eigen Wagen tau sitten kamen! Fiken, rück bet ran un mak den Vedder Platz.« –
Äwer Hinrich led dat nich, hei slog Fiken de Pirddeck üm de Fäut un säd: hei wull gahn. Hei gung, un as hei nu so gung un hir äwer'n Graben sprung un denn wedder taurügg, ümmer vörup, dat hei Fiken in de Ogen kiken kunn, säd Möller Voß: »Herr Ratsherr, 't is min Vedder, Jochen Vossen sin Sähn; is't nich en schiren Kirl?« –
Un Ratsherr Hers' säd: »Dat is hei, Möller; hei's en smucken Kirl.« –
Un Bäcker Witt säd: »Hei's en dägten Kirl.« –
Fiken säd nicks; äwer sei dacht: »Hei's en gauden Kirl un en trugen Kirl«, un sei hadd möglicher Wis' noch mihr von em dacht, äwer Hinrich stunn mit einmal bi ehr un kek ehr so fründlich an un frog, ob ehr ok friren ded, dunn was dat mit dat Denken vörbi, un sei gaww em de Hand: »Fat mi blot an, ick bün ganz warm.«
(Fritz Reuter: Ut de Franzosentid 15. Kapitel)

"Seine Augen schwammen in Tränen, welche die fernere Rede erstickten; er wischte mit der Hand darüber und sagte dann unsäglich mild: »Clarissa, du hast dich sehr verändert und bist größer und stattlicher geworden, und fast schöner als damals, so daß ich beinahe den Mut verlor, da ich dich heute sah – Clarissa, tue ab den starren Schmuck, der so traurig um dein liebes Antlitz funkelt, sei wieder das Kind, das mich einst so selig machte nicht wahr, Clarissa, du liebst mich noch? – – – Liebst du mich noch – du, mein schüchtern, mein glühend Kind!« – – Er sah so treuherzig zu ihr hinan, und eine so weiche, unschuldige Seele lag in seinen Zügen, – – daß ihr ganzes Herz voll alter Liebe hinschmolz.

Wie schwach und wie herrlich ist der Mensch, wenn ein allmächtig Gefühl seine Seele bewegt, und ihr mehr Schimmer und Macht verleiht, als im ganzen andern toten Weltall liegt! – Der ganze Wald, die lauschenden Ahornen, die glänzende Steinwand, selbst Johanna und Gregor versanken um Clarissa, wie wesenlose Flitter, [287] nichts war auf der Welt als zwei klopfende Herzen, – allvergessen neigte sie das liebeschimmernde Antlitz und die dunklen, strömenden Augen immer mehr gegen ihn, und in Tönen, worüber Johanna erschrak, sagte sie: »O Ronald, ich liebe dich ja, ich kann mir nicht helfen, und hättest du tausend Fehler, ich liebte dich doch – ich lieb dich unermeßlich, mehr als Vater und Geschwister, mehr als mich selbst und alles, mehr als ich es begreifen kann...« 

 »Und ich,« erwiderte er, ihr in die Rede fallend, – »siehe, tropfenweise will ich dieses Blut für dich vergießen, ich will gut werden und sanft, wie das Lamm des Feldes, daß ich dich nur verdiene – gehe mit mir in mein Vaterland, oder bleibe hier, ich will auch bleiben – nimm mir mein Leben, nimm mir die Seele aus dem Leibe, damit du nur siehest, wie ich dich liebe. – –«

Er zog sie gegen sich – machtlos folgte sie – und beide zitternd vor Übermacht des Gefühles stürzten sich in die Arme, so fest umschlingend und klammernd, daß seine blonden Locken auf das Samtkleid ihrer Schultern niederwallten.

Die beiden Zeugen dieser Szene sahen sich verwirrt und staunend an – aber Johanna, die bisher mit steigender Angst zugehört hatte, sprang plötzlich auf, und mit den zornesmutigen Tränenfunken in den Augen rief sie: »Clarissa, was tust du denn?!« Diese, wie aufgeschreckt, fuhr empor, wendete sich um, und wie sie das Kind, dessen Lehrerin und Vorbild sie bisher war, vor sichstehen sah – nein, nicht mehr das Kind, sondern die Jungfrau mit der Purpurglut der Scham im Gesichte, so warf sie sich demütig, und doch strahlend vom Triumphe an ihre Brust. –

Es war eine stumme Pause, man hörte ihr Schluchzen, und das sanfte Wehen des Waldes. [...]

Er war wieder ihr gegenüber gesessen, sein leuchtendes Antlitz zu ihr emporgewendet, umwallt von dem flüssigen Gold der Haare, angeschaut von den zwei vollen Sternen ihrer Liebe. – Sie war mit jener schönen Empfindung des Schicklichen, die Frauen selbst in der Glut des Gefühles nicht verläßt, zu Johannen gesessen, und war fortwährend mehr ihr als ihm zugewendet. Bei seinem letzten Worte tat sie ihre Lippen auf und sagte halb zärtlich, halb schamvoll: »Ronald, schone Johannen.«[290]

»Nur noch einen Augenblick, süße Blume, laß mich schauen in dein Auge,« entgegnete er, »nur einen Augenblick noch, daß ich mir mein Glück einpräge, und nur ein Tausendstel davon mit forttragen kann – ich weiß nicht, geht von dir dieser Zauber der Verwandlung aus oder von dem Walde – mir ist, als wär ich ein anderer, als wäre draußen nicht der Sturm und die Verwüstung, sondern, wie hier, die stille, warme Herbstsonne. Siehe, die Steinwand schaut festlich flimmernd nieder, der Ahorn läßt Zeit um Zeit ein Blatt fallen, dort zirpt die Herbstheuschrecke, die sanfte Luft vermag nicht einmal jene glänzenden Fäden zu zerreißen, und die Wärme des Nachmittags sinkt zitternd längs dem grauen Gesteine nieder – – mir ist, als gäbe es gar kein Draußen, gar keine Menschen als die hier, die sich lieben und Unschuld lernen von der Unschuld des Waldes – lasse es mich noch einen Augenblick genießen, wer weiß, ob wieder ein solcher kommt; denn der Mensch ist vergänglich, wie das Blatt des Baumes, ja noch mehr als dies; denn dasselbe kann nur der Herbst abschütteln, den Menschen jeder Augenblick«.

Bei diesen Worten sah selbst Johanna, die liebevoll Wandelbare, mit Freundlichkeit und Teilnahme auf den schönen Jüngling, und selbst mit schwach aufsteigender Neugier, wo es denn liege, was ihren größten Schatz dieser Erde, Clarissas Herz, gewonnen.

»Laß diese Wiese,« fuhr er fort, »diese schöne Wiese, auf der wir sitzen, unbedeutende Geschöpfe vor dem Herrn, wie die andern, die da spielen und atmen in den Gräsern und Gesteinen, umweht von den Wäldern Gottes, in denen kein Rang und Stand ist – lasse sie den Verlobungssaal sein – und alles, was uns umringt, sei Zeuge – reiche mir die Hand, Clarissa, so mir Gott gnädig sein wolle, bin ich dein für alle Zeiten, in Leid und Freud, und sollte dies Auge unversehens der Schatten des Todes berühren, so weine ein kleines Tränlein als meine Witwe.«[291]

Ein leichter Schauder ging über Clarissen; sie war in höchster Erschütterung aufgestanden, und unfähig, nur ein einzig Wort zu sagen, legte sie ernst, wie mit kirchlicher Andacht, ihre Hand in seine."  (Stifter: Der Hochwald, 5. Waldwiese)


So schrieb Stifter in seinen frühen Erzählungen. In seinen Romanen - in seinem Altersstil - äußern sich seine Liebenden anders.


»Und ich habe schöne Jungfrauen und Mädchen vor dir gesehen, und keine war mir lieb«, sagte Witiko.
»Siehst du?« sprach Bertha.
»Und weil ich dir lieb war, hast du mit mir geredet?« fragte Witiko.
»Weil du mir lieb warst, habe ich mit dir geredet«, antwortete Bertha.
»Und weil ich dir lieb war, bist du mit mir zu den Sitzsteinen an den Ahornen gegangen?« fragte Witiko.
»Weil du mir lieb warst, bin ich mit dir zu den Sitzsteinen an den Ahornen gegangen«, antwortete Bertha.
»Und bist neben mir auf den Steinen gesessen«, sagte Witiko.
»Und bin neben dir auf den Steinen gesessen«, sprach Bertha.
»Und mir bist du so lieb gewesen«, sagte Witiko, »daß ich immer bei dir hätte sitzen, und immer mit dir hätte reden mögen. Du bist heute wie damals gekleidet, Bertha.«
»Es ist das nämliche Gewand, welches ich an jenem Sonntage an gehabt hatte«, antwortete Bertha, »nur das schwarze Röcklein ist mir ein wenig kürzer geworden.«
»Mir ist alles wie in jener Zeit«, sagte Witiko. [...]
Da sie bei den Steinen angekommen waren, sagte Witiko: »Bertha, setze dich nieder.«
»Ich bin auf diesem gesessen«, sagte Bertha.
»So setze dich wieder auf ihn«, sprach Witiko.
Sie tat es.
»Und ich bin neben dir auf diesem gesessen«, sagte Witiko, »er ist niederer, und ich setze mich wieder auf ihn.«
Er tat es.
»Siehst du, Bertha«, sagte er, »unsere Angesichter sind nun wieder in gleicher Höhe, wie damals, da ich dich angeblickt hatte, und da du mich angeblickt hattest.«
»Bist du größer geworden, Witiko?« fragte Bertha.
»Es muß ein wenig sein«, antwortete Witiko, »da ich dir hier wieder gleich bin, und da du gesagt hast, daß dir dein Röcklein kürzer geworden ist. Mein Lederkleid dehnt sich.«
»Und so wie damals ragt dein Schwert in die niedreren Steine«, sagte Bertha, »und in den nämlichen Gewändern sitzen wir hier wie vor sechs Jahren.«
»Nur die Bäume, die jenseits der hellen Wiese stehen, an deren Rande wir sitzen«, sprach Witiko, »glänzen nun im Sonnenscheine, da sie damals im Schatten waren, und die Blätter der Ahorne über uns sind dunkel, die damals geschimmert hatten.« 
(Adalbert Stifter: Witiko)

An dieser Stelle sah ich jetzt, daß mir eine Gestalt, welche mir früher durch Baumkronen verdeckt gewesen sein mochte, entgegen kam, welche die Gestalt Nataliens war. [...]
»Es ist recht schön«, sprach sie, »daß wir gleichzeitig einen Weg gehen, den ich heute schon einmal gehen wollte, und den ich jetzt wirklich gehe.«
»Wie habt ihr denn die Nacht zugebracht, Natalie?« fragte ich. »Ich habe sehr lange den Schlummer nicht gefunden«, antwortete sie, »dann kam er doch in sehr leichter, flüchtiger Gestalt. Ich erwachte bald und stand auf. Am Morgen wollte ich auf diesen Weg heraus gehen und ihn bis über die Felderanhöhe fortsetzen; aber ich hatte ein Kleid angezogen, welches zu einem Gange außer dem Hause nicht tauglich war. Ich mußte mich daher später umkleiden und ging jetzt heraus, um die Morgenluft zu genießen.« [...]
Wir gingen langsam auf dem feinen Sandwege dahin, an einem Baumstamme nach dem andern vorüber, und die Schatten, welche die Bäume auf den Weg warfen, und die Lichter, welche die Sonne dazwischen legte, wichen hinter uns zurück. Anfangs sprachen wir gar nicht, dann aber sagte Natalie: »Und habt ihr die Nacht in Ruhe und Wohlsein zugebracht?« »Ich habe sehr wenig Schlaf gefunden; aber ich habe es nicht unangenehm empfunden«, entgegnete ich, »die Fenster meiner Wohnung, welche mir eure Mutter so freundlich hatte einrichten lassen, gehen in das Freie, ein großer Teil des Sternenhimmels sah zu mir herein. Ich habe sehr lange die Sterne betrachtet. Am Morgen stand ich frühe auf, und da ich glaubte, daß ich niemand in dem Schlosse mehr stören würde, ging ich in das Freie, um die milde Luft zu genießen.«
»Es ist ein eigenes erquickendes Labsal, die reine Luft des heiteren Sommers zu atmen«, erwiderte sie. »Es ist die erhebendste Nahrung, die uns der Himmel gegeben hat«, antwortete ich.
(Adalbert Stifter: Der Nachsommer, Die Entfaltung)

Und nun begann ein Jagen und Haschen, bei dem Lene wirklich nicht gefangen werden konnte, bis sie zuletzt vor Lachen und Aufregung so abgeäschert war, daß sie sich hinter die stattliche Frau Dörr flüchtete.
»Nun hab' ich meinen Baum«, lachte sie, »nun kriegst du mich erst recht nicht.« Und dabei hielt sie sich an Frau Dörrs etwas abstehender Schoßjacke fest und schob die gute Frau so geschickt nach rechts und links, daß sie sich eine Zeitlang mit Hilfe derselben deckte. Plötzlich aber war Botho neben ihr, hielt sie fest und gab ihr einen Kuß.
»Das ist gegen die Regel; wir haben nichts ausgemacht.« Aber trotz solcher Abweisung hing sie sich doch an seinen Arm und kommandierte, während sie die Gardeschnarrstimme nachahmte: »Parademarsch... frei weg« und ergötzte sich an den bewundernden und nicht endenwollenden Ausrufen, womit die gute Frau Dörr das Spiel begleitete.
»Is es zu glauben?« sagte diese. »Nein, es is nich zu glauben. Un immer so un nie anders. Un wenn ich denn an meinen denke! Nicht zu glauben, sag' ich. Un war doch auch einer. Un tat auch immer so.«
»Was meint sie nur?« fragte Botho leise.
»Oh, sie denkt wieder... Aber, du weißt ja... Ich habe dir ja davon erzählt.«
»Ah, das ist es. Der. Nun, er wird wohl so schlimm nicht gewesen sein.«
»Wer weiß. Zuletzt ist einer wie der andere.«
»Meinst du?«
»Nein.« Und dabei schüttelte sie den Kopf, und in ihrem Auge lag etwas von Weichheit und Rührung. Aber sie wollte diese Stimmung nicht aufkommen lassen und sagte deshalb rasch: »Singen wir, Frau Dörr. Singen wir. Aber was?«
»Morgenrot...«
»Nein, das nicht... ›Morgen in das kühle Grab‹, das ist mir zu traurig. Nein, singen wir ›Übers Jahr, übers Jahr‹, oder noch lieber ›Denkst du daran‹.«
»Ja, das is recht, das is schön; das is mein Leib- und Magenlied.«
Und mit gut eingeübter Stimme sangen alle drei das Lieblingslied der Frau Dörr, und man war schon bis in die Nähe der Gärtnerei gekommen, als es noch immer über das Feld hinklang: »Ich denke dran... ich danke dir mein Leben« und dann von der andren Wegseite her, wo die lange Reihe der Schuppen und Remisen stand, im Echo widerhallte.
Die Dörr war überglücklich. Aber Lene und Botho waren ernst geworden.
(Theodor Fontane: Irrungen Wirrungen)

Gehe ich recht in der Annahme, dass sich Schriftsteller des 19. Jahrhunderts auf die Kunst der Aussparung verstanden, auch wenn sie viele Worte machten?

Äwer in twei Harten funn de Sorg' keinen Platz, dor was de Leiw' inkihrt mit ehren Hofstaat von heimliche Wünsch un Hoffnung un Vertrugen, un de heimlichen Wünsch lepen as flinke Brutjumfern dörch't ganze Hus un all sin Kamern, rümten up, wat in den Weg stunn, un wischten den Stoff von den Disch un von de Bänk un putzten de Finstern, dat ein wid rut seihn kunn in't schöne Lewensland, un deckten den Disch in den hellen Saal un makten dat Bedd in de stille Kamer un hüngen frische Kränz' von Low un Blaumen äwer Dör un Finster un an de Wand de buntsten Biller. Un de Hoffnung stek ehre dusend Lichter an un set't sick dunn heimlich still in de Eck, as wir sei't gor nich west, as hadd't ehr Steifswester dahn, de Würklichkeit; un dat Vertrugen stunn an de Dör un let keinen rin, de kein Hochtidskled anhadd, un säd tau de Sorg', as sei nah Fiken frog: »Gah din Weg', de oll Möller danzt up uns' Hochtid«, un säd tau dat Bedenken, as dat nah Hinrichen frog: »Gah din Weg', 't is allens in Richtigkeit.«
(Fritz Reuter: Ut de Franzosentid 15. Kapitel)

Hier spricht Reuter einmal von den Gefühlen seiner Personen - während er sonst fast nur die äußere Handlung vorträgt und Gefühle nur erschließen lässt. Aber er spricht durchweg in Bildern. So bleibt es im Grunde wieder nur bei recht indirekten Anspielungen auf die "heimliche Wünsch".

»In jenen Monaten bat jemand, der Ihnen von Herzen ergeben ist und der gern sein Leben für Sie hingeben würde, durch Ihren Vater, daß Sie ihm Ihr Vertrauen gewähren.«
»Dem Mitgefühl des Arztes hatte ich nichts zu vertrauen«, antwortete Henriette stolz, »und einem Manne, an dessen Freundschaft ich gern dachte, sah ich bei der Begegnung an seinen Augen an, daß für ihn das Mädchen, welches die fremden Soldaten an sich gerissen hatten, nicht mehr denselben Wert hatte wie das unschuldige Pfarrkind, das ihm die Kleeblätter pflückte.«
»Henriette!« rief der Mann wieder – »zu dem Leid, das ich trage, fügen Sie ein neues, wenn Sie mich so grausam verkennen. Da ich Sie zuerst sah, wurde ich Ihnen gut, wie ich noch keinem Weibe gewesen, es war in meinem einsamen Leben die erste Liebe, und ich war selig, wenn ich an Sie dachte und mich an Ihre Seite. Da kam die Erzählung des Vaters; aus seinen Worten klang vieles, was mir wie Grabgeläut meines stillen Wunsches erschien. Welches Recht hatte ich auf Ihre Neigung? Was wußte ich davon? Sie hatten sich mir herzlich zugeneigt in froher Stunde, aber zweifelnd fragte ich mich, welchen Wert meine Liebe für Sie haben könne; und die Antwort, die ich mir selbst gab, war: daß ich noch wenig für Ihr Herz bedeuten konnte. Als ich von dem letzten Besuch nach Hause kam, habe ich mit dem Gedanken gerungen, ob ich es wagen dürfe, Ihnen zu schreiben und Sie von meiner Leidenschaft zu unterhalten. Ich war mutlos, Henriette, denn nicht ich hatte Sie an dem Schurken gerächt. Seitdem erst habe ich selbst erkannt, wie heiß und stark das Gefühl ist, das ich in mir herumtrage. Lassen Sie sich gefallen, daß ich Ihnen dies heut sage: Fürchterlich und unerträglich ist mir der Gedanke, daß Sie mir fremd werden können.«
Sie saß aufgerichtet im Kahne und zwang sich, fest zu scheinen, aber die Tränen rollten von ihren Augen.
»Ich wage in dieser Stunde nicht davon zu reden«, fuhr der Liebende fort, »was geschehen muß, um die Last einer unmenschlichen Verpflichtung von Ihnen zu nehmen. Vielleicht vermag ich dies, aber nur mit Ihrer Hilfe. Und darum flehe ich nur um das eine: daß Sie sich meine stille Verehrung gefallen lassen und daß Sie zuweilen daran denken, wie in Ihrer Nähe ein Mann lebt, dem Ihr Glück weit teurer ist als sein Leben, und dessen höchster Lebenswunsch ist, Ihre Liebe und Ihre Hand für sich zu erringen.«
Sie bewegte abweisend das Haupt, als sie traurig sagte: »Es ist an meinem Unglück genug; vergessen Sie mich.« Aber als sie ihn einen Augenblick ansah, drang ein heller Strahl ihm in die Seele. Dann blickte sie wieder abwärts und weinte still vor sich hin, er [1266] aber bewegte leise das Ruder und führte den Kahn dem Lande zu, wo die Hausfrau sie bereits erwartete.
(Gustav Freytag: Die Ahnen. Aus einer kleinen Stadt. Kapitel: Die Begegnung, S.1265f.)

Geschildert wird eine ungewöhnliche Konstellation - ich frage mich, was Jane Austen daraus gemacht hätte. Aber hier bleibt alles konventionell.


"Sie standen an einem Garbenhaufen. Ilse bog einige Aehrenbündel zum Sitz zurecht und sah über die Felder nach den fernen Bergen.
»So ist's mit uns gerade umgekehrt und anders, als man denken sollte,« begann sie nach einer Weile, »wir sind hier wie die Vögel, die Jahr aus, Jahr ein lustig mit den Flügeln schlagen, Sie aber denken und sorgen um andere Zeiten und andere Menschen, die lange vor uns waren; Ihnen ist das Fremde so vertraut, wie uns der Aufgang der Sonne und die Sternbilder. Und wie Ihnen wehmüthig ist, daß der Sommer endet, ebenso wird es mir schmerzlich, wenn ich einmal von vergangener Zeit höre und lese, und am traurigsten machen mich die Geschichtsbücher. So viel Unglück auf Erden, und gerade die Guten nehmen so oft ein Ende mit Leid. Ich werde dann vermessen und frage, warum hat der liebe Gott das so gewollt? Und es ist wohl recht thöricht, wenn ich das sage, ich lese deshalb nicht gern in der Geschichte.«
»Diese Stimmung begreife ich,« erwiederte der Professor. »Denn wo die Menschen ihren Willen durchzusetzen streben gegen ihr Volk und gegen ihre Zeit, werden sie am Ende fast immer als die Schwächeren widerlegt; auch was der Stärkste etwa siegreich durchsetzt, hat keinen ewigen Bestand. Und wie die Menschen und ihre Werke, vergehen auch die Völker. [...]

Viel Schwaches, viel Verdorbenes und Absterbendes umgibt uns, aber dazwischen wächst eine unendliche Fülle von junger Kraft herauf. Wurzeln und Stamm unseres Volkslebens sind gesund. Innigkeit in der Familie, Ehrfurcht vor Sitte und Recht, harte, aber tüchtige Arbeit, kräftige Rührigkeit auf jedem Gebiet. In vielen Tausenden das Bewußtsein, daß sie ihre Volkskraft steigern, in Millionen, die noch zurückgeblieben sind, die Empfindung, daß auch sie zu ringen haben nach unserer Bildung. Das ist uns Modernen Freude und Ehre, das hilft wacker und stolz machen. Und wir wissen wohl, die frohe Empfindung dieses Besitzes kann auch uns einmal getrübt werden, denn jeder Nation kommen zeitweise Störungen ihrer Entwicklung, aber das Gedeihen ist nicht zu ertöten und nicht auf die Dauer zurückzuhalten, solange diese letzten Bürgschaften der Kraft und Gesundheit vorhanden sind. Deshalb ist jetzt auch glücklich, wer den Beruf hat, längst Vergangenes zu durchsuchen, denn er blickt von der gesunden Luft der Höhe hinab in die dunkle Tiefe.«
Ilse sah hingerissen in das Antlitz des Mannes; er aber bog sich über die Garbe, welche zwischen ihm und ihr lehnte, und fuhr begeistert fort: »Jeder von uns holt aus dem Kreise seiner persönlichen Erfahrungen Urtheil und Stimmung, welche er bei Betrachtung großer Weltverhältnisse verwendet. Blicken Sie um sich her auf die lachende Sommerlandschaft, dort in der Ferne auf die thätigen Menschen, und was Ihrem Herzen näher liegt, auf Ihr eigenes Haus und den Kreis, in dem Sie aufgewachsen sind. So mild das Licht, so warm das Herz, verständig, gut und treu der Sinn der Menschen, die Sie umgeben. Und denken Sie, welchen Werth auch für mich hat, das zu sehen und an Ihrer Seite zu genießen. Und wenn ich über meinen Büchern recht innig empfinde, wie wacker und tüchtig das Leben meines Volkes ist, welches mich umgibt, so werde ich fortan auch Ihnen zu danken haben.« Er streckte seine Hand aus über die Garben, Ilse faßte sie, hielt sie mit beiden Händen fest, und eine warme Thräne fiel darauf. So sah sie mit feuchten Augen zu ihm hin, eine ganze Welt von Seligkeit lag in ihrem Antlitz. Allmählich ergoß sich ein helles Roth über ihre Wangen, sie stand auf, noch ein Blick voll hingebender Zärtlichkeit fiel auf ihn, dann schritt sie flüchtig von ihm abwärts, den Rain entlang. [...]
Der ihr so groß gegenüberstand, er hatte sich zu ihr hinabgeneigt, sie hatte seinen warmen Atem, den schnellen Druck seiner Hand gefühlt. Als sie dahinging durch das Feld, strömte ihr die Glut in die Wangen, und was sie umgab, Erde und Himmel, Flur und sonniger Waldessaum, das floß vor ihr in leuchtende Wolken zusammen. Mit beflügeltem Fuß eilte sie hinab in den Waldgrund, wo das Baumlaub sie umhüllte. Jetzt erst fühlte sie sich allein, und ohne es zu wissen, faßte sie einen schlanken Birkenstamm und schüttelte ihn mit voller Kraft, daß der Baum laut rauschte und seine Blätter auf sie herabstreute. Und sie hob die Hände zu dem goldenen Licht des Himmels und warf sich nieder auf den Moosgrund. In heftigen Atemzügen hob sich ihre Brust und die kräftigen Glieder zuckten von der inneren Erregung. Wie vom Himmel herab war die Leidenschaft in das junge Weib gesunken und faßte ihr Leib und Seele mit unwiderstehlicher Gewalt."
(Gustav Freytag: Die verlorene Handschrift, 1. Teil, S.156-164)

Während die Liebesszene in den "Ahnen" konventionell wirkt, wirkt die aus Freytags "Die verlorene Handschrift" auf mich unecht. Ein Professor redet auf die Tochter eines Landwirts ein, die ihrem Vater den Haushalt führt. Er tut es in langen recht abstrakten - von mir erheblich gekürzten - Ausführungen und rührt sie damit zu Tränen. Als dann noch ihre "kräftigen Glieder zuckten von der inneren Erregung" und die Leidenschaft in sie "wie vom Himmel herab" in sie sank, fühlte ich mich endgültig im Trivialroman angekommen.

Zum Vergleich eine Liebesszene aus dem 18. Jahrhundert:


Ja, dann brach sein überfülltes Herz entzwei. – Dann quollen alle mit alten Tränen vollgegossenen Tiefen seiner Seele auf und hoben aus den Wurzeln sein schwimmendes Herz, und er sank vor Klotilden nieder, glänzend in himmlischer Liebe und rinnendem Schmerz – von der Tugend überflammt – vom Mondenlicht verklärt – mit der treuen erliegenden Brust, mit den überhüllten Augen, und die zerrinnende Stimme konnte nur die Worte sagen: »Engel des Himmels! endlich bricht vor dir das[957] Herz, das dich unaussprechlich liebt – o ich habe ja lange geschwiegen. – Nein, du edle Gestalt weichest nie aus meiner Seele. – O Seele vom Himmel, warum haben deine Leiden und deine Güte und alles, was du bist, mir eine ewige Liebe gegeben, und keine Hoffnung und einen ewigen Schmerz?« – Von ihm weggebogen lag ihr erschrocknes Angesicht in ihrer rechten Hand, und die linke deckte nur die Augen, aber nicht die Tränen zu. Ein sterbender Laut flehete ihn an, aufzustehen. Man hörte den zweiten Schlitten von ferne. – »Unvergeßliche! ich martere Sie, aber ich bleibe, bis Sie mir ein Zeichen der Vergebung geben.« – Sie reichte ihm die linke Hand hinaus, und ein heiliges Angesicht voll Rührung wurde aufgedeckt. Er preßte die warme Hand an sein flammendes Angesicht, in seine heißen Tränengüsse. Er fragte zitternd wieder: »O mein Fehler wird immer größer, werden Sie ihn denn ganz verzeihen?«...
Da verhüllte sie das errötende Angesicht in den verdoppelten Schleier und stammelte abgewandt: »Ach dann muß ich ihn teilen, edler Freund meines Lehrers.« – –
Seliger, seliger Mensch! nach diesem Wort bietet dir das ganze Erdenleben keinen größern Himmel an! Ruhe nun in stillem Entzücken mit dem überwältigten Angesicht auf der Engelhand, in die das edelste Herz das für die Tugend wallende Blut ausgießet! Weine alle deine Freudentränen auf die gute Hand, die dir sie gegeben hat! Und dann: wenn du es vermagst vor Entzücken oder vor Ehrfurcht, denn hebe dein reines glänzendes Auge auf und zeig ihr darin den Blick der erhabnen Liebe, den Blick der ewigen Liebe und der stummen und der seligen und der unaussprechlichen! –
Jean Paul: Hesperus, 3. Heftlein, 28. HundposttagS.956-957

Hesperus war der einzige von Jean Pauls Romanen, der schon zu seinen Lebzeiten drei Auflagen erlebte, und man versteht, warum  Jean Paul seine Leserinnen zu Tränen rührte und bis 1800 mit seinen Romanen - mit Ausnahme des Werther - populärer war als die heute berühmteren Klassiker.

Und eine aus Jean Pauls nächstem Roman:

"Jetzo saß, Hand in Hand, das Brautpaar zum erstenmal allein im Finstern nebeneinander....
Schöne Stunde, worin in jeder Wolke ein lächelnder Engel stand und aus jeder statt der Regentropfen Blumen niederwarf, möge dein Widerschein bis auf mein Papier langen und da noch sichtbar sein!
Der Neuvermählte hatte noch nie seine Braut geküßt. Er wußte oder glaubte, sein Gesicht sei mehr geistreich, angespannt, eckig und scharf als glatt-schön; und da er noch dazu seine Gestalt immer selber lächerlich machte: so meinte er, sie komme auch andern so vor. Daher bracht' er, der sich sonst über die Augen und Zungen einer ganzen Gasse wegsetzte, doch nicht so viel Mut zusammen, um, außer den Zeiten der freundschaftlichen Dithyramben, nur seinen – Leibgeber zu küssen, geschweige seine Lenette. Er drückte ihre Hand jetzo heftiger und wandte kühn sein Gesicht gegen ihres, zumal da er nichts sehen konnte, und wünschte, die Treppe habe so viel Staffeln wie der Münsterturm, damit Leibgeber später mit dem Lichte erschiene. Auf einmal hüpfte ein gleitender bebender Kuß über seinen Mund und – nun schlugen alle Flammen seiner Liebe aus der weggewehten Asche auf. Denn Lenette, so unschuldig wie ein Kind, glaubte, es sei die Pflicht der Braut, diesen Kuß zu geben. Er umfaßte die zagende Geberin mit aufmerksamer schüchterner Kühnheit und glühte mit allem Feuer, das ihm Liebe, Wein und Freude gaben, auf ihren Lippen mit seinen; aber sie wandte – so sonderbar ist dieses Geschlecht – den gefesselten Mund von dem brennenden ab und kehrte den beglückten Lippen wieder die Wangen zu. – – Und hier blieb der bescheidene Gatte mit einem langen Kusse ruhen und drückte seine Wonne bloß durch unaussprechlich- süße Tränen aus, die wie glimmende Naphthatropfen auf Lenettens Wangen fielen und darauf in ihr zitterndes Herz. Sie lehnte das Angesicht immer weiter zurück; aber im schönen Staunen über seine Liebe zog sie ihn doch enger an sich. – –"
(Jean Paul: Siebenkäs, 1. Kapitel, S.46/47)

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