20 September 2010

Mann: Philosophie, Wollust, Neugier; Frau: Liebe?

Mit Schmerz bedachte ich die lange Zeit, welche nun von meinem neunzehnten Lebensjahre an verstrichen war, seit welchem ich in brennendem Eifer die Weisheit mit dem Vorhaben gesucht, wenn ich sie gefunden hätte, alle meine verwerfliche Begierden und lügnerische Albernheiten aufzugeben; denn siehe, ich lebte im dreißigsten Jahre und klebte noch an diesem Unrath, voll Gier nach dem flüchtigen, zerstreuenden Genuß der Gegenwart. Und das waren in der langen Zeit meine Gedanken: »Morgen werde ich es finden, es wird sich mir darbieten und fest werde ichs halten; siehe, Faustus wird kommen und wird mir Alles erklären. [...]
Ich liebte das selige Leben, und fürchtete, es in seiner Wohnung zu finden, ich floh vor ihm, da ich es suchte. Denn ich wähnte, ich würde gar zu elend werden, wenn ich des Weibes Umarmungen entbehren müßte, und dachte nicht an das Heilmittel deiner Erbarmung, das mich von diesem Uebel erlösen konnte, denn ich hatte es nie noch versucht. Ich hielt die Enthaltsamkeit für Sache der eigenen Kraft, von der ich wußte, daß sie mir fehlte, da ich in Thorheit nicht wußte, was geschrieben steht: »ich kann nicht anders züchtig sein, es gebe mirs denn Gott.« (Weish. 8, 21.) Wahrlich, mir hättest du es gegeben, wäre ich mit Seufzen zu dir gekommen und hätte mit festem Glauben mein Anliegen auf dich geworfen. [...]
Wohl suchte mich Alypius von der Heimführung einer Gattin abzuhalten und mich zu überzeugen, wenn ich das ausgeführt hätte, könnten wir nicht ungestört der Liebe zur Weisheit leben, der wir schon so lange verlangten. Er selbst lebte rein, während er sich in der ersten Jugend befleckt, aber dem Laster nicht hingegeben hatte, und es in schmerzendem Gedächtnis seines Falls um so mehr verachtete und um so enthaltsamer lebte. Ich hielt ihm das Beispiel derer entgegen, welche sich auch in der Weisheit befleißigt, Gott erworben und ihre Freunde treu und werth gehalten hätten; und [136] doch war ich weit entfernt von dem Seelenadel solcher Männer, war gebunden von der krankhaften Sinnenlust nach tödlichem Genuße und schleppte mich an meiner Kette. Ich fürchtete, von ihr gelöst zu werden, und da mir schon die Wunde geschlagen war, verschmähte ich die Worte des freundlich Rathenden, die doch einer heilenden Hand glichen. Ja, durch mich sprach die Schlange selbst zu Alypius und umstrickte mit meinen lockenden Worten seinen bisher reinen Pfad. Er selbst wurde mehr aus Neugier, als aus sinnlichen Frieden heirathslustig, da ich, den er so hoch achtete, ihm betheuerte, gar nicht ohne ehelichen Umgang leben zu können und als ich ihn versicherte, der Ehe Freuden seien etwas ganz Anderes, als jene von ihm genoßene, vorübergehende Lust. So wurde er nach dem begierig, ohne dessen Genuß ich mein Leben, das ihm so wohlgefiel, kein Leben, sondern eine Strafe nannte. Seine noch freie Seele wunderte sich über meine Sklaverei, im Verwundern schritt sie zur Neugier und war nahe am Fall und an der Verlobung mit dem Tode. Denn wer die Gefahr liebt, den stürzt sie. Keinen von uns veranlaßte ja das Würdige des Ehestandes, häusliches Walten, Kindes- und Elternliebe, kaum nebenbei dachten wir des; mich trieb gewöhnte Gier, ihn ihre neugierige Verwunderung. So waren wir, bis du Höchster, der du unser niedriges Leben nicht verließest, dich der elenden erbarmtest und wunderbar und verborgen halfest.
Ohne Rast wurde nun darauf hingewirkt, daß ich eine Gattin heimführen möge. Schon freite ich und erhielt das Jawort, wobei sich meine Mutter die größte Mühe gab; denn sie hoffte, nach meiner Verehelichung sollte mich die heilsame Taufe reinigen, für die sie mich mit Freuden täglich tauglicher werden [137] sah. [...] Doch blieben wir bei unserer Wahl, die auf eine Jungfrau gefallen war, wegen deren Jugend wir mit der Vollziehung der Ehe noch zwei Jahre zu warten gedachten. [...]
Inzwischen mehrten meine Sünden sich. Und da Sie, ein Hinderniß gegen meine Vermählung, von meiner Seite gerißen wurde, mit welcher ich mein Lager zu theilen gewöhnt war, wurde mein ihr anhängliches Herz getroffen, verwundert und wollte in Schmerzen verbluten. Sie aber war nach Afrika zurückgekehrt und hatte dir gelobt, nie mehr von einem andern Manne zu wißen. Mir wurde von ihr ein natürlicher Sohn zurückgelassen. Ich Elender aber konnte nicht einmal eines Weibes Nachahmer werden, und den Aufschub nicht ertragen, durch welchen ich die Verlobte erst nach zwei Jahren heimführen sollte; denn ich war nicht ein Freund der Ehe, ein Knecht der Lust war ich; und so nahm ich eine Andere zu mir, ohne sie zum Weibe zu nehmen.
(6. Buch), S.133-138

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