08 August 2010

Rousseaus Ungeschick im Gespräch

Noch unseliger ist es, daß trotz des richtigen Gefühls, mich schweigend verhalten zu müssen, wenn ich nichts zu sagen habe, mich förmlich die Wuth zu sprechen überfällt, um meine Schuld dadurch gleichsam schneller abzutragen. Ich stottere in größter Hast einige gedankenlose Worte hervor, mit denen sich im glücklichsten Falle gar kein Sinn verbinden läßt. Durch mein Bestreben, meine Albernheit zu besiegen oder zu verdecken, bringe ich sie gewöhnlich erst recht zu Tage. Unter tausend Beispielen, die ich anführen könnte, will ich nur eines herauswählen, welches nicht aus meiner Jugend stammt, sondern aus einer Zeit, in der ich mir die Ungezwungenheit und den Ton der Welt, in welcher ich bereits einige Jahre gelebt hatte, angeeignet haben sollte, wenn es möglich gewesen wäre. Ich befand mich eines Abends in der Gesellschaft zweier vornehmer Damen und eines Herrn, dessen Name Klang hat, nämlich des Herzogs von Gontaut. Keine andere Person befand sich in dem Zimmer, und ich bemühte mich zu einer Unterhaltung zwischen vier Personen, von denen drei meiner Beihilfe sicherlich nicht bedurften, einige Worte, Gott weiß welche, beizutragen. Die Frau des Hauses ließ sich ein Opiat bringen, welches sie für ihren Magen täglich zweimal einnahm. Als die andere Dame sie das Gesicht verziehen sah, fragte sie lächelnd: »Rührt das Opiat von Herrn Tronchin her?« – »Ich meine nicht,« erwiderte erstere in dem nämlichen Tone. »Ich glaube, es ist auch nicht besser,« fügte der geistreiche Rousseau galant hinzu. Alle wurden bestürzt. Kein Wort wurde gesprochen, kein Lächeln zeigte sich, und einen Augenblick später nahm das Gespräch eine andere Wendung. Einer Andern gegenüber wäre diese Dummheit nur lächerlich gewesen; aber an eine Dame gerichtet, die zu liebenswürdig war, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu haben, und die ich sicherlich nicht beleidigen wollte, war sie geradezu schrecklich; und ich glaube, daß die beiden Zeugen, der Mann sowohl wie die Frau, große Mühe hatten, ihren Unwillen gegen mich nicht sichtbar werden zu lassen. Solche geistreiche Dinge bringe ich zu Wege, wenn ich reden will, ohne daß ich etwas zu sagen habe. Ich werde die erzählte Anekdote nicht leicht vergessen, denn sie ist nicht allein an sich sehr merkwürdig, sondern ich bilde mir auch ein, daß sie Folgen nach sich gezogen hat, die mich nur zu oft an sie erinnern. (3.Buch)

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